PHILIPP EULENBURG, DER FREUND 381
war fast zwanzig Jahre älter als ich, hatte viel erlebt und kannte den Mon-
archen noch genauer als ich. „Gott gebe‘, meinte er, „daß Ihre Ehe mit
dem Kaiser gut geht. Mit Bismarck kam es nach kaum zwei Jahren zur
Scheidung. Man hat mich beschuldigt, dazu mitgewirkt zu haben. Das ist
ein ungerechter Vorwurf, ich konnte den Bruch aber leider nicht verhindern.
Mit Caprivi ging es gar nicht, der hat nichts als Dummheiten gemacht,
wußte auch den Kaiser nicht zu nehmen. Mit Hohenlohe sah es schon besser
aus, aber eigentlich doch nur, weil er sich vollkommen passiv verhielt.
Eine solche Passivität des Reichskanzlers, des verfassungsmäßig einzig
verantwortlichen Beamten im Reich, ist aber auf die Länge bedenklich.
Wir müssen einen Reichskanzler haben, der im Reichstag Rede und Ant-
wort stehen kann, der seine Gegner abführen und so sprechen kann, daß
die Nation die Ohren spitzt. Wir brauchen wieder eine Persönlichkeit.“
Der alte Lucanus schwieg einige Minuten, indem er an seiner Zigarre sog.
„Das große Problem ist, wie lange ein Reichskanzler, der eine Persönlichkeit
ist und nun gar eine mehr oder weniger brillante Persönlichkeit, es mit dem
Kaiser macht.“ Wieder schwieg der vielerfahrene alte Herr und schloß,
indem er mir nochmals die Hand drückte, mit den tröstlichen Worten:
„Das wollen wir Gott anheimstellen.“
Er wandte sich dann weniger schweren Problemen zu und erzählte mir
mit gutem Humor, daß mein Freund Philipp Eulenburg das möglichste getan
hätte, meine Ernennung zum Reichskanzler zu hintertreiben. Beileibe nicht
durch direkte Angriffe noch in heftiger oder gewaltsamer Weise, sondern
indem er dem Kaiser eine herzerschütternde Beschreibung von meinem
angegriffenenen Gesundheitszustand gemacht und wehmütig hinzugefügt
hätte: Wer mich lieb habe, müsse wünschen, daß der bittere Kelch des
Reichskanzleramts an mir vorübergehe. Er habe dem Kaiser eine be-
ängstigende Schilderung von einem „fürchterlichen‘“ Hautausschlag ge-
macht, der mich in Norderney befallen hätte, während er, Eulenburg, zum
Besuch bei mir an der Nordsee geweilt habe. (In Wahrheit handelte es sich
um einen völlig ungefährlichen Nesselausschlag, den ich mir durch allzu
reichlichen Genuß von Krevetten zugezogen hatte und der vorüberging, als
ich zwei Gläser heißes Wasser mit einer Auflösung von Kochsalz zu mir
genommen hatte, ein Rezept, das ich jedem empfehle.) Ich frug, ob Phili
etwa selbst hätte Kanzler werden wollen. „I wo!“ meinte Lucanus. „Das
traut er sich denn doch nicht zu. Er poussierte die Kandidatur von Hohen-
lohe-Langenburg, um dann als Statthalter nach Straßburg zu gehen, was
das Ziel seiner Wünsche ist.‘“ Aus seiner Reisetasche, welche die Seiner
Majestät anläßlich des Kanzlerwechsels zur Unterzeichnung vorzulegenden
Schriftstücke enthielt, holte Lucanus einen Artikel der „Pfälzischen Rund-
schau“ hervor, in dem von einer mysteriösen Reise des Botschafters
Lucanus über
Eulenburgs
Zwecke