DONNA LAURA MINCHETTI 385
Witwe des feinsinnigen Novellisten Eduard Bülow, des ersten Biographen
von Heinrich von Kleist, Apologeten des unglücklichen Dietrich Bülow
und Entdeckers des „armen Mannes in Tockenburg“. Der geniale Musiker
Hans von Bülow war ihr Stiefsohn. Sie hatte ihren Vater nicht mehr mit
Bewußtsein gekannt, er starb, als sie nur drei Jahre alt war. Aber sie war in
seinem Geist erzogen worden und erfüllt von seinem Geist. Sie faßte ihr
Urteil über ihn in die Worte zusammen: „Er ruhte in sich selbst, und darum
verlor er nicht das innere Gleichgewicht, weder im Glück noch im Unglück.“
Der reichsfreiherrliche Zweig der Familie Bülow, dem er entsprossen war,
habe seit langem die Devise geführt: „In utraque fortuna ipsius fortunae
memor“, was ich sogleich übersetzte: „‚Bleibe bei gutem wie bei schlechtem
Wetter der Unbeständigkeit des Wetters eingedenk.““ Die alte Dame fand
die Übersetzung zutreffend und gab der Überzeugung Ausdruck, daß die
Ehre unserer Familie und vor allem die preußische wie die deutsche Ehre
während meiner Amtsführung keinen Schaden nehmen würden. Die Unter-
redung mit der würdigen Greisin erquickte mich. Es schien mir, als ob die
Vergangenheit mir die Hand reiche, denn die Generationen sollen sich im
Dienste des Vaterlandes ablösen und eine der anderen mit vaterländischer
Gesinnung die Eigenschaften übermitteln, die das Vaterland groß machen.
Quasi cursores vitae lJampades tradunt.
Ich telegraphierte nun auch an meine Frau, daß ich zum Reichskanzler
ernannt worden wäre: ich bäte Gott, mir die Kraft zu geben, mein Amt zum
Wohle des Volks und des Kaisers zu führen. Meine Frau überbrachte, nicht
unbedingt erfreut, denn sie fürchtete für mich die Aufregungen und Kämpfe
der neuen Stellung, aber doch sehr bewegt und gerührt, die Nachricht meiner
Schwiegermutter, die zum Besuch bei uns weilte. Diese fiel vor ihrem Bett
auf die Knie und bat die Mutter Gottes um Schutz und Erleuchtung für
mich, den sie wie einen Sohn liebte. Donna Laura Minghetti war in einem
neapolitanischen Kloster erzogen worden. Sie sprach von den Nonnen als
von lieben und gütigen Wesen, denen sie herzliche Dankbarkeit bewahrte.
Aber was sie sonst in dem Neapel des Königs Bomba von Geistlichen und
Mönchen gesehen hatte, war nicht gerade erbaulich. Während ihr auf der
einen Seite der krasseste Aberglaube entgegentrat, sah sie auf der anderen
Seite, daß viele der leitenden Männer des italienischen Risorgimento in
religiösen Fragen skeptisch dachten. Nun flößte ihr aber der Gedanke, daß
mit dem Tode alles vorbei sein sollte, Grauen und Abscheu ein. So glich sie,
wie sie sich selbst ausdrückte, einer Wanderer, der von dem einen Ufer des
Stroms abgestoßen ist, das andere aber nicht erreichen kann. Nach dem
Tode ihres ersten Gatten, des Fürsten Domenico Camporeale, der,noch jung,
nach langer und schmerzlicher Krankheit in Paris starb, hatte sie bei dem
Dominikanermönch Lacordaire, dem großen französischen Kanzelredner,
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