Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE ZWÖLFTAUSEND-MARK-AFFÄRE 387 
Entlassungsgesuch Seiner Majestät mit einem unfreundlichen Kommentar 
vorgetragen, so würde der Kaiser zweifellos Posadowsky haben gehen lassen. 
Lucanus riet mir dazu, da ich bei Posadowsky kaum ehrliche Unterstützung 
in den bevorstehenden schwierigen handelspolitischen Kämpfen finden 
würde. Ich hielt es für meine Pflicht, die ungewöhnlichen Kenntnisse und 
die große Arbeitskraft des bisherigen Staatssekretärs des Innern dem Lande 
zu erhalten, und telegraphierte deshalb dem Posadowsky persönlich be- 
freundeten Baron Richthofen, ich hätte den Kaiser bewogen, das Abschieds- 
gesuch des Staatssekretärs des Innern abzulehnen und ihm gleichzeitig 
ein huldvolles Telegramm zu senden. Posadowsky möge nun aber aus dem 
Schmollwinkel herauskommen und sich mit mir.zu nützlicher Arbeit ver- 
einigen. Er werde schwerlich einen Kanzler finden, der ihm so wohlwollend, 
anerkennend und loyal entgegenkäme wie ich. Wenige Wochen später trat 
einer jener Zwischenfälle ein, die im öffentlichen Leben häufig sind und die 
der Franzose mit dem Ziegelstein vergleicht, der einem Spaziergänger 
plötzlich auf den Kopf fällt: une tuile vous tombe sur la töte. Als die 
Zwölftausend-Mark-Affäre dem armen Posadowskyunvermutet aufden Kopf 
fiel, kam er als Bittender zu mir und klammerte sich an mich an wie ein Er- 
trinkender. 
Am 18. Oktober fand die Einsegnung des Prinzen Adalbert statt. 
Dryander hielt eine würdige Ansprache, die, von jedem Byzantinismus 
weit entfernt, auf die ewigen Sterne hinwies, die uns auf der steinigen und 
oft gefährlichen Pilgerfahrt leuchten sollen. Es ergriff mich, als die Ge- 
meinde sang: 
Ich weiß, an wen ich glaube, 
Ich weiß, was fest besteht, 
Wenn alles hier im Staube 
Wie Staub und Rauch verweht; 
Ich weiß, was ewig bleibet, 
Wo alles wankt und fällt, 
Wo Wahn die Weisen treibet 
Und Trug die Klugen hält. 
Ich hatte genug von der Politik gesehen und erfahren, um zu wissen, 
daß der Dichter dieser schönen und tiefen Verse, unser lieber alter Ernst 
Moritz Arndt, einer der besten Deutschen, die je gelebt haben, der treue 
Eckart unseres Volkes, nur zu recht hat, wenn er vor Wahn und Trug 
menschlicher Weisheit und Klugheit warnt. Ich hatte Bismarck mehr als 
einmal sagen hören, daß, je länger er in der Politik arbeite, desto geringer 
sein Glaube an menschliches Rechnen würde. Ich hatte gelesen, daß Napo- 
leon am Ende seiner Regierung zum Erzkanzler Cambaceres, (einst seinem 
hauptsächlichen Mitarbeiter bei der Neugestaltung der französischen 
25*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.