Rückreise
Bülows
nach Berlin
388 „ICH WEISS, WAS NIE VERLÄSST“
Justiz und inneren Verwaltung) sprach: „Ich habe mich in meinem Leben
80 oft geirrt, daß ich nicht mehr darüber erröte.‘“ Der mir seit Jahren be-
freundete österreichische Geschichtsforscher Heinrich Friedjung hatte mir
mehr als einmal gesagt und auch geschrieben, daß die Geschichte vor allem
Bescheidenheit des politischen Urteils lehre, denn sie habe mit unwägbaren
Dingen zu tun, sie sei keine exakte Wissenschaft, schon weil sie überall
auf das Rätsel der Persönlichkeit stoße. Ich meine auch heute, daß
solche Erkenntnis zu innerer Bescheidenheit führt, die immer nützlich
ist, aber keineswegs zu Kleinmut. Und darum sang ich mit voller Über-
zeugung den zweiten und den dritten Vers des Liedes:
Ich weiß, was ewig dauert,
Ich weiß, was nie verläßt;
Auf ew’gem Grund gemauert
Steht diese Schutzwehr fest.
Es sind des Heilands Worte,
Die Worte, fest und klar;
An diesem Felsenorte
Halt’ ich unwandelbar.
Auch kenn’ ich wohl den Meister,
Der mir die Feste baut:
Es ist der Herr der Geister,
Auf den der Himmel schaut,
Vor dem die Seraphinen
Anbetend niederknien,
Um den die Heil’gen dienen,
Ich weiß und kenne ihn.
Wenn ich sage, daß ich diese Verse gesungen hätte, so ist das ein Euphe-
mismus. Ich summte sie nur vor mich hin. Ich bin so unmusikalisch, daß
mir schon während meiner Schulzeit im Pädagogium zu Halle an der Saale
verboten wurde, in der Kirche mitzusingen, da ich durch falsche Töne die
Andacht der Gemeinde störe.
Am 19. Oktober trat ich die Rückreise nach Berlin an. Die Fahrt, die
einem Gang durch die deutsche Geschichte glich, führte mich vorbei an
Fulda, in dessen Dom der Apostel der Deutschen ruht, an Gelnhausen,
der alten Barbarossastadt, wo Kaiser Rotbart in der von ihm hier ange-
legten Kaiserpfalz auf einer Insel der von Kastanien- und Walnußbäumen
beschatteten Kinzig Hof hielt und Reichstage versammelte, vorbei an der
Wartburg, wo der Sängerkrieg deutsche Dichter und Sänger um Landgraf
Hermann scharte, wo die ungarische Königstochter Elisabeth zur deutschen
Heiligen wurde, wo Luther die Bibelübersetzung begann, vorbei an Erfurt,