KIDERLEN, TSCHIRSCHKY, SCHÖN 395
emporgeblickt haben, so werden sie diese Gefühle allezeit auch ihrem nun-
mehrigen Herrn Reichskanzler entgegenbringen und durch treue Pflicht-
erfüllung sich bemühen, das ihnen bisher stets erwiesene Wohlwollen auch
fernerhin zu verdienen.“ Ich erwiderte: „Ihnen und den Beamten des
Chiffrierbüros, die mich mit voller Hingebung so treu unterstützt haben,
herzlichsten Dank in immer gleicher Gesinnung.“ Willisch war ein Original.
Er hatte schon unter dem Ministerpräsidenten Manteuffel sein Amt ver-
sehen und diesem gleichzeitig als Geheimsekretär gedient. Er gehörte einer
protestantischen Sekte an, ich glaube den Herrnhutern, liebte mystische
Grübeleien und hatte infolge eifriger Lektüre der Apokalypse bisweilen
seltsame Visionen, die an die Bilder erinnerten, die der Jünger, den der
Herr liebhatte, auf der Insel Patmos schaute. Es erschienen ihm nicht nur
Engel und Posaunen und himmlische Reiter auf weißen Pferden, sondern
hie und da auch das böse Tier mit den zehn Hörnern und der Drache auf
dem Stuhl. Dann schrieb er mir mit dem Vermerk „Eigenhändig! Ganz
geheim !““ versehene Briefe, in denen er solche Visionen mit politischen Er-
eignissen der Gegenwart verknüpfte. Das verhinderte Willisch aber nicht,
ein überaus tüchtiger und pflichttreuer Beamter zu sein.
Bald nach meiner Ernennung zum Reichskanzler fand ich die Möglich-
keit, drei jüngeren Diplomaten persönliche Wünsche zu erfüllen. Ich ver-
schaffte dem Gesandten in Kopenhagen, Kiderlen, die Versetzung nach
Bukarest, die er wünschte, da ihn das bunte, zuweilen stürmische politische
Leben in Rumänien stärker anzog als die mehr beschauliche Tätigkeit in
demstillen Kopenhagen. Tschirschky, damals Botschaftsrat in St. Peters-
burg, erhielt den Gesandtenposten in Luxemburg. Der spätere Botschafter
und Staatssekretär Schön wünschte lebhaft, wieder in den diplomatischen
Dienst zurückzukehren. Ich habe schon erzählt, wie ich dies am 9. Sep-
tember 1899 auf der Fahrt von Karlsruhe zur „„Hohenzollern‘ bei Seiner
Majestät durchsetzte. Schön war als Botschaftsrat in Paris von dem Bot-
schafter Münster nicht gut behandelt worden. Fürst Münster, der für Paris
wie vorher für London manche Qualitäten besaß, war ein nicht immer
freundlicher Chef und von Hause aus ein hochfahrender hannöverscher
Aristokrat. Er konnte es Schön, der einer in der Lederindustrie reich ge-
wordenen Wormser Familie entstammte, nicht verzeiben, daß er „nach
Leder“ röche. Schön flüchtete sich mit Hilfe der Kaiserin Friedrich, der
ersich nützlich gemacht hatte, als ihr von der in Paris lebenden steinreichen
Herzogin von Galliera eine große Erbschaft zufiel, an den Koburger Hof,
wo es aber auch nicht lange mit ihm ging. Böse Zungen behaupteten, daß
er, als die Herzogin Alfred von Koburg, die einzige Tochter des Kaisers
Alexander II. von Rußland, ihm ihre Huld zuwandte, der hohen Dame
eine hübsche Schauspielerin des Koburger Theaters vorgezogen hätte.
Revirements