396 KEINE CORDELIA UNTER DEN DREI
Also der Fall von Lord Leicester und Monaldeschi, nur daß der Ausgang,
Gott sei Dank, kein so tragischer war. Schön sollte als Botschafter wie als
Staatssekretär manches Unheil anrichten. Bei Shakespeare fragt König
Lear seine drei Töchter, welche ihn am meisten liebe. Regan und Goneril
ergehen sich in feurigen Beteuerungen ihrer brennenden Liebe für ihren
angebeteten Vater, während Cordelia liebt und schweigt. Dem Vorbilde
der Cordelia folgte keiner der drei von mir bevorzugten Diplomaten. Am
meisten Würde bewahrte Kiderlen, der sich damit begnügte, für die ihm
von mir stets und jetzt erneut bewiesene wohlwollende Gesinnung seinen
wärmsten Dank darzubringen und mich seiner unwandelbaren Dankbar-
keit und Ergebenheit zu versichern. Tschirschky bat um die Erlaubnis, in
dem Bewußtsein, den ihm gewordenen Allerhöchsten Gnadenbeweis in
erster Linie meinem „gnädigen“, ihm stets gezeigten Wohlwollen zu danken,
dem Gefühl seiner „tiefsten“ Erkenntlichkeit Ausdruck geben zu dürfen.
Er bäte mich, jederzeit mich seiner „treusten‘“ Anhänglichkeit und
„steten‘‘ Verehrung versichert halten zu wollen. Schön schrieb: „Ich bitte
Euer Exzellenz, versichert sein zu wollen, daß ich die mir zugedachte hohe
Auszeichnung nach ihrem vollen und besonderen Wert zu schätzen weiß
und alle Kraft daran setzen werde, mich derselben würdig zu erweisen,
wohl bewußt, daß ich dieselbe in erster Linie Eurer Exzellenz freund-
lichem Interesse und gütiger Fürsprache verdanke, wofür ich meine ehr-
erbietigste, wärmste Erkenntlichkeit ausspreche.‘“ Am relativ anständig-
sten benahm sich in der Zukunft mir gegenüber der für roh geltende
Kiderlen, der nur in seinen an Frau Kypke gerichteten Billetdoux über
mich herzog. Der „treu gehorsamst ergebene‘ Schön schwenkte von mir ab,
als 1908 der Novembersturm losbrach. Tschirschky intrigierte schon früher
gegen mich. Überrascht hat mich keiner dieser Gesinnungswechsel.