Der
österreichische
Thronfolger
400 WILHELM II. BRÜSKIERT FRANZ FERDINAND
Namentlich die österreichischen Militärs waren leichtsinnig, wie sie dies
vor 59 und 66 auch gewesen waren. Gegenüber Rußland wie auch gegen-
über Italien, Serbien und Rumänien mußten sie fest an der Leine gehalten
werden.
In den Vordergrund der österreichischen Politik trat bei dem hohen
Alter und der zunehmenden Stumpfheit des Kaisers Franz Josef mehr und
mehr der präsumtive Thronfolger, der Erzherzog Franz Ferdinand, dessen
Verhältnis zu Kaiser Wilhelm bei meinem Amtsantritt nicht gut war. In
einem längeren Privatbrief — der wirkliche Gang der Politik tritt in pri-
vaten Schreiben weit mehr zutage als in amtlichen Berichten, bei denen
leicht mancherlei Rücksichten genommen werden — hatte mir Philipp
Eulenburg anläßlich einer Reise, die Erzherzog Franz Ferdinand nach
Potsdam unternehmen wollte, eine eingehende Schilderung gegeben, in der
er über den latenten Gegensatz zwischen dem Erzherzog und unserem
Kaiser klagte. Es hieß in diesem Brief: „Der Gegensatz zwischen dem
Erzherzog Franz Ferdinand und unserem Herrn ist deshalb ein kaum zu
überwindender, weil maßloser Hochmut die alte Weltanschauung des
Erzherzogs niemals in Einklang zu der modernen Anschauung unseres
Kaisers bringen kann. Das tief religiöse Gefühl unseres Kaisers, welches eine
Art Brücke zu einer mehr objektiv katholischen Natur, wie sie sich in
Kaiser Franz Josef darstellt, bildet, stellt sich dem Erzherzog mehr dar als
das Ketzertum eines Philipp von Hessen gegenüber Karl V. Der Erzherzog
äußert deshalb in vertrauten Kreisen unverhohlen seine antipathischen
Empfindungen gegen das Wesen unseres Kaisers — zollt jedoch der geistigen
Befähigung desselben Anerkennung; und auf dieser letzteren Basis wäre
eine Art Verständigung denkbar, wenn man dem Erzherzog zugleich die
denkbar möglichen Ehren in Berlin erweist. Er hat einen Scherz unseres
Herrn noch nicht vergessen, der ihn fürchterlich tief verletzte. Es war
jener Empfang auf dem Bahnhof in Berlin vor einigen Jahren, wo Seine
Majestät dem Erzherzog sagte: ‚Bilde dir nicht ein, daß ich zu deinem
Empfang gekommen bin — ich erwarte den Kronprinzen von Italien‘
(Ich glaube, daß es der Kronprinz Victor Emanuel war.) In der außer-
gewöhnlich hochmütigen Natur des Erzherzogs ist der Stachel dieser ‚Be-
leidigung‘ geblieben. Herzog Albrecht von Württemberg, sein Schwager,
mit dem ich befreundet bin, sagte mir hier, daß diese Geschichte jetzt ver-
gessen sei — ‚50 gut wie vergessen‘. Eine andere Bemerkung des Kaisers,
unseres allergnädigsten Herrn, hat ebenso getroflen und ist augenscheinlich
benutzt worden, um die Kluft zwischen den beiden Herren zu erweitern.
Seine Majestät hatte bei der letzten Anwesenheit in Pest nach dem ver-
trauteren Verkehr mit dem Erzherzog die Bemerkung gemacht: ‚Ich habe
gar nicht geglaubt, daß Franz Ferdinand so gescheit wäre.‘ Der Erzherzog,