EIN FRONDIERENDER THRONFOLGER 401
dem man diese Bemerkung wiedererzählte, ist blaß vor Wut geworden und
sagte: ‚Hielt er mich denn für einen Trottel?‘ Ich zähle diese beiden Ge-
schichten auf, weil sie symptomatisch für die eigentliche Stimmung sind.
Nicht diese Geschichten vermochten diesen Gegensatz hervorzurufen,
Hochmut und Neid sind die eigentlichen Krankheitserreger, und die
Tatsachen werden diese Bazillen nicht beseitigen. Ein starkes Deutschland
mit einem genial beanlagten Herrscher ist ein zu gutes Kulturfeld für die
bösen Charakterbazillen, die den Erben der Habsburger-Krone beherrschen.
Alle Bemühungen, ihn zu gewinnen, werden daher nur eine schwache Wir-
kung haben. Aber eine Art praktischer Beurteilung aller Fragen wird
an dem recht gescheiten Erzherzog nicht ganz abgleiten. Und hierzu gehört
auch der Weihrauch eines schr glänzenden Empfangs. An die Schilderung
der Persönlichkeit des Thronfolgers möchte ich noch ein paar Worte über
seine Politik anknüpfen. In den Rahmen aller frondierenden Thronfolger
gehört auch Franz Ferdinand. Wie er niemals das vergißt, was seine
Eitelkeit verletzte, so wird er nicmals vergessen, daß törichte Ärzte und
ungeschickte Hofbeamte ihn zu den Toten legten, während er noch Lebens-
kraft genug besaß, um sich zu erholen. Er vergißt niemals Goluchowski,
daß dieser ihn als Quantite negligeable behandelte. Deshalb ist Franz
Ferdinands Politik immer da zu finden, wo die Gegner Goluchowskis stehen.
Er hat deshalb nicht nur allein seinem Schwager Albrecht von Württem-
berg mit Genugtuung erzählt, daß unser allergnädigster Herr ihm gesagt
habe: ‚Goluchowski ist ein Esel‘... Goluchowski findet trotz seiner
katholischen Frömmigkeit die ganzen Ultramontanen auf seinem Wege,
die gegen den Dreibund Sturm laufen. Was ihn hält, ist das Vertrauen
seines Kaisers. Wir würden einen Fehler begehen, wenn wir ihn trotz seiner
verschiedenen Schwächen jetzt nicht unterstützten, wo hier die russische
antideutsche Partei ziemlich stark ist. Der Vorteil für uns liegt darin, daß
Goluchowski wegen des Hasses von Franz Ferdinand nicht vor dieser
russisch-feudalen, antideutschen Partei kapitulieren kann. Um die kompli-
zierte und nicht immer leicht zu durchschauende Lage noch zu verwirren,
hat Franz Ferdinand die Südslawen (Slowenen, Kroaten, Dalmatiner)
während seiner letzten Reise im Süden, wenn auch nicht gerade aufgehetzt,
so doch sehr aufgeregt. Es zeigen sich dort seitdem starke russische Sympa-
thien, und das ‚Kaiserreich Slowenien‘ tritt mehr und mehr in den Vorder-
grund. Mit dieser Reise hat Franz Ferdinand den Ungarn einen perfiden
Streich gespielt. Er hat eigentlich damit die slawische Frage in Ungarn
aufgerollt. Seinem Charakter traue ich zu, daß er dies mit Bewußtsein tat.
Ob er den Gedanken an die slawische Transformation der habsburgischen
Monarchie, über den ich gelegentlich berichtet habe, in sich trägt, lasse ich
dahingestellt. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß er derartigen
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