Ausbau der
Wehrmacht
404 MILITÄRISCHE FORDERUNGEN
nicht vergessen. Als ich mich nicht lange nach der Übernahme meines
Amtes gelegentlich eines Besuchs, den sie mir in Berlin machte, mit ihr
über die Pariser Stimmung unterhielt, meinte sie: Es würde besser aussehen,
wenn nicht gar so viele Deutsche zur Ausstellung nach Paris gekommen
wären. Sie hätten durch allzu lautes Wesen, durch zu reichliche Opfer, die
sie dem Bacchus in Restaurants und Bars darbrachten, gelegentlich auch
durch aufgeregtes Feilschen und Klagen über zu hohe Preise in Läden und
Vergnügungslokalen nicht gerade bezaubernd gewirkt. Für die Franzosen
bliebe nach wie vor der Rat von Gambetta maßgebend, nicht von der
Revanche zu reden, aber stets an sie zu denken.
Angesichts der starken, sich immer steigernden Rüstungen, die im
Geiste dieser von Gambetta ausgegebenen Parole Jahr für Jahr in Frank-
reich erfolgten, war es unsere Pflicht, mit den Franzosen mindestens glei-
chen Schritt zu halten und den Ausbau unserer Wehrmacht nicht zu ver-
nachlässigen. Ich bin daher während meiner ganzen Amtszeit für jede
militärische Forderung eingetreten. Ich habe hie und da den Eifer meines
Freundes Tirpitz für Neubauten und namentlich für den Bau von Schlacht-
schiffen zu mäßigen versucht. Ich habe aber dem Kriegsministerium wie
dem Generalstab stets erklärt, daß ich jederzeit jede von ihm für nötig
gehaltene Militärvorlage vor dem Reichstag und vor dem Lande zu vertreten
bereit wäre und nötigenfalls, um eine solche durchzuführen, vor keiner
Auflösung zurückschrecken würde. Bei einer Auflösung des Reichstags für
militärische Forderungen, von denen die Sicherheit des Landes im letzten
Ende so überwiegend abhinge, könnten wir jeden Tag an die Nation appel-
lieren. Ich habe dabei freilich bisweilen daraufhingewiesen, daß militärische
Forderungen um so glatter durchgehen und der Reichstag und das Land
um so eher bereit sein würden, dafür Opfer zu bringen, wenn gewisse
Schönheitsfehler beseitigt würden, die an dem prächtigen Bilde unserer
herrlichen Armee störten. Ich beklagte die sogenannten „Adels-Regi-
menter“, d.h. die Tendenz mancher Regimenter, nur Adlige einzustellen
und zu Offizieren zu wählen. Wenn das aus traditionellen Gründen allen-
falls für die beiden alten Leibregimenter, das 1. Garderegiment zu Fuß und
das Regiment Gardeducorps, zulässig sein könne, so wäre es ein Unfug,
daß diese Tendenz in den meisten Kavallerieregimentern, in fast allen
Garderegimentern und auch in vielen Infanterieregimentern der Linie um
sich griff. Auch war ich nicht damit einverstanden, daß, wenigstens in der
preußischen Armee, in Bayern stand es darin besser, kein Israelit zum
Offizier gewählt wurde. Ich hatte darüber noch kurz vor meinem Rücktritt
eine Auseinandersetzung mit meinem langjährigen guten Freund, dem Chef
des Militärkabinetts, Grafen Dietrich Hülsen. Es handelte sich um einen
jungen, wohlerzogenen, zum Offizier wie zum Diplomaten durchaus