EIN VAKANTER BOTSCHAFTERPOSTEN 407
daß ich überzeugt bin, daß er hier eine gute Stellung haben wird.“ Der
Großherzog von Hessen hatte großen Einfluß auf seine Schwester, die
regierende Kaiserin von Rußland, die mit allen Fasern an ihrer hessischen
Heimat hing. Wie die meisten deutschen Fürsten konnte er den Kaiser,
obschon sein leiblicher Vetter, nicht leiden und mag sich in maliziöser
Weise über ihn ausgelassen haben. Thronfolger war damals, vor der Geburt
des Sohnes des Kaisers Nikolaus II., dessen Bruder, der Großfürst Michael
Alexandrowitsch. Er war bei seiner Reise nach England auf der Durchreise
in Kiel von Seiner Majestät empfangen, aber allerdings nicht sonderlich gut
behandelt worden. Das kam bei Besuchen fremder Fürstlichkeiten nicht
selten vor, ging aber bei Wilhelm II. nicht aus Bosheit und überhaupt nicht
aus Absicht hervor, sondern aus momentaner Laune. Freilich ist nicht zu
leugnen, daß, wie die Verhältnisse sowohl in Rußland wie in England lagen,
derartige persönliche Häkeleien Schaden anrichten konnten.
Den Nerv unserer Beziehungen zu Rußland hatte ein anderer unserer
früheren Botschafter in St. Petersburg, General von Schweinitz, berührt,
als ermir auf meine Frage, wen er für den durch den Rücktritt des Generals
von Werder vakant werdenden Botschafterposten in St. Petersburg als
besten Anwärter ansehe, geschrieben hatte: „Verehrter Graf! Durch Influ-
enza ans Bett gebunden, diktiere ich meiner Tochter den Dank dafür, daß
Sie mir durch einen Beweis ehrenden Vertrauens die Anregung gaben, über
einen mich besonders interessierenden Gegenstand nachzudenken. Vor
meinem Ausscheiden im Herbst 1892 bezeichnete ich als maßgebend für die
Wahl meines Nachfolgers drei Punkte: Diplomat von Fach; geborener
Preuße; Vertrauen erweckende Persönlichkeit. Euer Exzellenz erinnern
sich, wie sehr Alexander III. zu Mißtrauen neigte, besonders gegen geistig
hervorragende Menschen. Die drei von mir bezeichneten Eigenschaften
fand ich damals in Grafen Alvensleben vereinigt. General Caprivi stimmte
mir bei, und wenn ich nicht irre, hatte auch Seine Majestät schon einge-
willigt, als unter Wladimirschem Zutun ein Wechsel eintrat. Kaiser Alex-
ander, dem mein Abgang unerwünscht und die Ernennung eines Unbekann-
ten unheimlich war, hatte sich gefreut, als man ihm den von früher her
bekannten und sympathischen Alvensleben nannte. Dies war aber Alvens-
leben caelebs. Mit Eurer Exzellenz halte ich Baron Stumm für den Geeig-
netsten; er hatte eine gute Stellung in Petersburg, verstand es vortrefflich,
mit den gros-bonnets der Ministerien laufenden Geschäften nachzuhelfen;
dabei stand er mit den femmes hupp&es auf gutem Fuß. Die Baronin
Stumm ist elegant, klug, reich, der Frau von Montebello mindestens ge-
wachsen. Ich fürchte aber, Baron Stumm würde den Posten nicht annehmen;
einer der Faktoren seines Ausscheidens ist noch nicht beseitigt, außerdem
ist seine Gesundheit nicht gut. Er ist ruhelos — aber wer dann? Ich muß
Die
Vertretung
in Petersburg