Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

412 DIE KRÜGER-DEPESCIE 
Empfehlung. Die deutsche Konkurrenz wurde nicht geschwächt, sondern 
gestärkt, und mit ihr der englische Neid. 
Ich entsinne mich eines Gesprächs, das ich Anfang der achtziger Jahre 
in Paris mit der damaligen deutschen Kronprinzessin führte. Sie hielt sich 
auf der Rückreise von London nach Berlin einige Tage in Paris auf. Unter 
der weisen und taktvollen Obhut des Botschafters Chlodwig Hohenlohe 
verlief dieser Besuch ohne Anstoß. Die Kronprinzessin hatte mich, der ich 
damals Zweiter Sekretär unserer Botschaft war, mit dem kaiserlichen Bot- 
schafter zum Frühstück nach dem Hotel Westminster eingeladen, wo sie 
abgestiegen war. Ganz Engländerin, wie sie’ dies bis an ihr Lebensende 
blieb, klagte die Kronprinzessin vor dem nachsichtig lächelnden Hohenlohe 
darüber, daß die „unangenehme“ und „aufgeregte‘“ Konkurrenz, die der 
Deutsche dem Engländer neuerdings auch in solchen Branchen mache, wo 
die englische Ware bis dahin unbestritten den ersten Platz eingenommen 
hätte, in England starke und begreifliche Unzufriedenheit hervorrufe, was 
doch sehr traurig wäre. Die Deutschen sollten nicht so „pushing“ sein. Der 
gleichfalls anwesende Bruder ihrer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit, 
der Herzog von Connaught, nahm in taktvoller Weise uns arme Deutsche in 
Schutz, indem er ausführte, daß auf dieser großen und weiten Welt Platz 
für Deutsche wie für Engländer wäre. Die Kronprinzessin blieb aber dabei, 
daß unsere gar zu intensive und, wie sie behauptete, nicht immer „faire“ 
Konkurrenz uns die bisherigen englischen Sympathien kosten würde, was 
tief zu beklagen sei. 
Den Ausgangspunkt der zweiten Phase der deutsch-englischen Bezie- 
hungen bildete die Krüger-Depesche. Baron Beyens, vor dem Weltkrieg 
belgischer Gesandter in Berlin, dann belgischer Minister des Äußern, 
erzählt in seinem Buche über seine Berliner Mission, auf das ich später noch 
einmal zurückkommen werde, daß ihm ein Jahr vor dem Ausbruch des 
Weltkrieges der englische Botschafter in Berlin, Sir Edward Goschen, 
gesagt habe, der Eindruck, den die Krüger-Depesche in England gemacht 
hätte, sei nie wieder ganz verwischt worden. Diese intempestive Kund- 
gebung zerriß eben den freundlichen Vorhang, der bis dahin die Unzu- 
friedenheit und Abneigung verhüllte, die sich seit dem Deutsch-Fran- 
zösischen Krieg in England nach und nach gegen uns angesammelt hatte. 
In das dritte und entscheidende Stadium der deutsch-englischen Be- 
ziehungen traten wir ein, als wir mit unserem Flottenbau begannen, der, 
wie ich wiederholt vor dem Reichstag und vor dem Lande darlegte und auch 
in diesen meinen Lebenserinnerungen ausgeführt habe, durch unsere 
elementare wirtschaftliche Entwicklung zur Notwendigkeit geworden war. 
Die mir bei meiner Berufung von Rom nach Berlin gestellte Aufgabe war, 
die zu einer Existenzfrage für uns gewordene Verstärkung unserer Flotte
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.