Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

MIT TIRPITZ AN DER KIELER BUCHT 413 
zu ermöglichen, ohne daß dieser Ausbau zu einem Krieg mit England 
führte. Ich sollte, wie der Kaiser und Tirpitz mir oft wiederholten, das 
deutsche Schiff durch die Gefahrzone leiten. Der ungeheuren Schwierigkeit 
dieser Aufgabe war ich mir vom ersten Tage an bewußt gewesen, und sie 
wurde mir mit jedem Tage meiner Amtsführung deutlicher. Ich entsinne 
mich eines ernsten Gesprächs, das ich in den ersten Jahren meiner Kanzler- 
schaft in Kiel mit Tirpitz führte. Wir machten zusammen einen Spazier- 
gang auf dem Wege, der von Kiel durch das anmutige Gehölz Düsternbrook 
nach Bellevue führt. Von dem Weg, den schöne holsteinische Buchen 
beschatten, blickten wir auf die Kieler Bucht, die ich in meiner Kindheit 
als dänischen Hafen gekannt hatte und die ich später als Staatssekretär 
und Reichskanzler oft an Bord der Jacht ‚Meteor‘ durchquert habe. Die 
Kieler Föhrde ist die Königin der Ostseebuchten, tief wie das Weltmeer und 
dabei gegen Stürme geschützt, geräumig genug, allen Flotten der Welt zum 
Hafen zu dienen. Hier sollte ich an demselben Junitage, an dem ich 1897 
mit der Leitung der auswärtigen Geschäfte betraut worden war, 1909 
meinen Abschied als Reichskanzler erhalten, an Bord der prächtigen 
„Hohenzollern“, die, als ich zurücktrat, umgeben war von der inzwischen 
zur zweitgrößten Marine der Welt gewordenen deutschen Flotte. Still, leer, 
ausgeraubt und wehrlos liegt heute die Kieler Föhrde vor uns, einst unser 
Stolz, heute ein trauriges, herzzerreißendes Bild unseres Zusammenbruchs 
und Niedergangs. Im Laufe jener Unterredung mit Tirpitz frug ich ihn, 
wann er glaube, daß unsere im Bau befindliche Flotte eine Stärke erreicht 
haben werde, die einen unprovozierten englischen Angriff für vernünftige 
Menschen unwahrscheinlich machen würde. Tirpitz erwiderte mir, daß wir 
etwa 1904 oder 1905 in die kritischste Phase unserer Beziehungen zu Eng- 
land eintreten würden. Um diese Zeit würde unsere Marine so stark gewor- 
den sein, daß sie in England Eifersucht und starke Unruhe hervorrufen 
werde. Nach diesem voraussichtlich kritischsten Moment werde sich die 
Gefahr eines englischen Angriffs mehr und mehr verringern. Die Engländer 
würden dann einsehen, daß ein Vorgehen gegen uns auch für sie mit einem 
unverhältnismäßigen Risiko verbunden wäre. Da wir nicht daran dächten, 
England anzugreifen, würde auf dieser Grundlage einem friedlichen Neben- 
einanderleben und Sichentwickeln des deutschen und des englischen Volks 
nichts mehr im Wege stehen. In der Tat konnte, wie ich anläßlich des 
Kaiserbesuchs in England (November 1899) schon erwähnte, ein aus- 
gesprochener Pazifist, einer der eifrigsten Befürworter guter Beziehungen 
Deutschlands zu England, ein Bewunderer und Vertrauter von Bethmann 
Hollweg, Professor Dr. Hans Delbrück, im November 1913 nach einem 
Besuch in England feststellen, daß der englische Argwohn gegen Deutsch- 
land geschwunden sei, daß an den guten Beziehungen zwischen England
	        
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