WARNUNGEN 415
selbst angreifen könne. Die Möglichkeit eines solchen Angriffs sei aus zwei
Gründen gegeben: einmal weil die imperialistischen Ideen in England,
die dort seit Jahren mehr und mehr an Boden gewonnen hätten, nach der
voraussichtlich siegreichen Beendigung des südafrikanischen Krieges völlig
zur Herrschaft gelangen könnten, dann, weil infolge der scharfen wirtschaft-
lichen Konkurrenz auf dem Weltmarkt, die wiederum die Folge unseres
enormen industriellen Aufschwungs, unseres wachsenden Handels, unserer
zunehmenden überseeischen Interessen sei, in den breiten Massen des
englischen Volks sich mehr und mehr eine starke Antipathie gegen
Deutschland als den Hauptkonkurrenten Englands rege. Bei unserer heu-
tigen Schwäche zur See erscheine ein Krieg mit Deutschland der Mehrheit
des englischen Volks als eine verhältnismäßig leichte Aufgabe, zu der Eng-
land nur seine Flotte brauche und die dem englischen Volk bei dem Fehlen
der allgemeinen Wehrpflicht keine besonderen Opfer auferlegen würde.
Seit einem Jahr, führte ich weiter vertraulich aus, wären unsere Bezie-
hungen zu England ohne irgendwelche Veranlassung oder gar Schuld von
unserer Seite zweimal in ein akutes und kritisches Stadium getreten. Solche
Zwischenfälle, wie sie sich im Frühjahr 1899 in Samoa und im Januar 1900,
anläßlich der Beschlagnahme unserer Postdampfer, ereignet hätten, ließen
sich nicht immer diplomatisch beilegen. In beiden Fällen wäre England
auch anderweitig engagiert gewesen, was eine friedliche Beilegung erleichtert
habe. Und selbst auf dieser Basis sei die Beilegung des Konflikts gegenüber
der Stimmung in England nur möglich gewesen durch ziemlich scharfe
diplomatische Druckmittel, die sich ohne irgendwie genügende Macht nicht
oft wiederholen ließen. Wenn wir solche Warnungen nicht beherzigten, so
könnten wir uns ein drittes Mal in einer Lage sehen, wo wir nur die Wahl
zwischen einer schweren Demütigung und einem unglücklichen Krieg haben
würden. Gerade weil wir uns in Frieden neben England entwickeln wollten,
nur im friedlichen industriellen und gewerblichen Wettstreit, müßten wir
England gegenüber wenigstens zur Defensive fähig sein.
Im Laufe der Debatte vom 27. März 1900 hatte ich gegenüber dem
Zentrumsabgeordneten Gröber, der mich um eine authentische Inter-
pretation des Wortes „Weltpolitik“ gebeten hatte, ausdrücklich betont,
daß ich unter Weltpolitik lediglich die Pflege und Entwicklung der uns durch
die Ausdehnung unserer Industrie, unseres Handels und unserer Schiffahrt
erwachsenen Aufgaben verstehe. Das Anschwellen der deutschen über-
seeischen Interessen könnten wir nicht hemmen. Unseren Handel, unsere
Industrie, die Arbeitskraft, Regsamkeit und Intelligenz unseres Volks
könnten wir nicht kappen. Wir dächten nicht daran, aggressive Expansions-
politik zu treiben. Wir wollten nur die schwerwiegenden Interessen schützen,
die wir durch die natürliche Entwicklung der Dinge in allen Weltteilen
Deutsche
Weltpolitik