EUGEN RICHTER ZU ALT 417
Entgegenkommens gegenüber England geübt worden war, verteidigte ich
sowohl die letztgenannten Abkommen und den Kaiserbesuch in England wie
insbesondere unsere absolute Neutralität gegenüber dem Burenkrieg mit der
Notwendigkeit und Pflicht, freundliche und freundschaftliche Beziehungen
zu England aufrechtzuerhalten. Diese Pflicht ergebe sich ausder europäischen
Gesamtweltlage wieaus dem deutschen Gesamtinteresse. Wir könnten in Süd-
afrika nicht den kleineren Interessen die größeren und wichtigeren opfern.
Auf einen Zwischenruf des Abgeordneten Bebel erwiderte ich sofort und
mit dem allergrößten Nachdruck: wir würden auch mit größerer Macht zur
See eine maßvolle und besonnene Politik treiben. Die mir in den Mund
gelegte Äußerung, wenn wir erst eine starke Flotte hätten, würden wir vom
Leder ziehen, hätte ich natürlich nie gemacht. Ich sei kein Narr und redete
keinen Blödsinn. Auch mit einer verstärkten Flotte würden wir eine durch-
aus friedliche Politik verfolgen. Wenn wir zur See stärker wären, würden
uns andere Mächte mehr respektieren und solche Zwischenfälle wie in
Samoa und bei der Beschlagnahme der Reichspostdampfer sich hoffentlich
nicht wiederholen. Ich betonte schließlich — nicht ganz zur Zufriedenheit
von Tirpitz, dem vor allem an dem schleunigen Bau der großen Schlacht-
flotte gelegen war —, daß ich für den Schutz unserer Handelsinteressen
vom Standpunkt des auswärtigen Ressorts hohes Gewicht auf die Forderung
der Auslandsschiffe legen müsse. Gerade in Südamerika und Ostasien
bedürften wir eines größeren Schutzes durch Vermehrung der Zahl unserer
Kreuzer. Es war nach der langen und bewegten Sitzung der Budget-
kommission vom 27. März 1900, daß, wie ich in meinem Buch „Deutsche
Politik“ schon erwähnt habe*, der Führer der Volkspartei, Eugen Richter,
an mich herantrat und mir unter vier Augen sagte: „Sie werden es durch-
setzen, Sie werden die Mehrheit für Ihre Flottennovelle bekommen. Ich
hätte es nicht gedacht.‘ In der Unterredung, die sich an diese Bemerkung
knüpfte, bemühte ich mich, dem in mancher Hinsicht tüchtigen Mann dar-
zulegen, warum mir seine ablehnende Haltung gegenüber der Flottenvorlage
nicht verständlich wäre, denn deutsche Seegeltung sei während Jahr-
zehnten gerade von der deutschen Demokratie gefordert worden. Herwegh
habe der deutschen Flotte das Wiegenlied gesungen, und die ersten deut-
schen Kriegsschiffe seien im Jahre 1848 erbaut worden. Ich wies auf alle
Gründe hin, aus denen wir unsere Industrie und unseren Handel auf dem
Weltmeer schützen müßten. Richter hörte mir freundlich und aufmerksam
zu und meinte schließlich: „‚Sie mögen recht haben. Ich bin aber zu alt, ich
kann die Wendung nicht mehr mitmachen.“ Die von Eugen Richter voraus-
gesagte Wendung trat in der Blockzeit ein.
* Fürst von Bülow, „Deutsche Politik". Volksausgabe, $. 116.
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Eugen Richter
und die Flotte