I. KAPITEL
Besuch in Friedrichsruh « Wilmowski Vater und Sohn + Der 82jährige Bisınarck + Das
Bismarcksche Heim » Übernahme der interimistischen Leitung des Auswärtigen
Amtes » Freiherr von Rotenhan - Gedankenarbeit am Semmering » Die internationale
Lage von 1867 - Graf Anton Monts und seine an Bülow gerichteten Situationsberichte
ch kehre von Madrid nach Kiel und auf die „Hohenzollern“ zurück.
Als sich der Kaiser zurückgezogen hatte, nahm mich Fürst Hohenlohe bei-
seite und frug mich, ob ich glaube, daß er es mit dem Kaiser verschütten
würde, wenn er seinen Aufenthalt in Kiel zu einem Besuch in Friedrichsruh
benützte. Ich erwiderte optima fide, daß ich das nicht glaube. Wenn er den
Kaiser ausdrücklich um Erlaubnis bitte, werde ihm dieser die Absicht viel-
leicht ausreden wollen. Über die vollendete Tatsache werde sich der hohe
Herr schwerlich aufregen. Der Kanzler frug, ob ich Lust hätte, ihn zu be-
gleiten. Ich entgegnete, daß es mir eine besondere Ehre sein würde, mit
dem Fürsten nach Friedrichsruh zu fahren. Ich selbst würde unter allen
Umständen, früber oder später, dort einen Besuch abstatten. Bei der lang-
jährigen Freundschaft, die meinen Vater mit dem Fürsten Bismarck ver-
bunden habe und im Hinblick auf die Güte, die dieser mir und meinen
Brüdern erwiesen hätte, möchte ich mein neues Amt nicht endgültig an-
treten, ohne mich in Friedrichsruh vorgestellt zu haben. „Sehr schön“,
meinte sichtlich erleichtert der Kanzler, „dann fahren wir beide zusammen.
Herr von Wilmowski wird alles Weitere in die Hand nehmen.“
Wilmowski, der damalige Chef der Reichskanzlei, war der Sohn des lang-
jährigen Chefs des Zivilkabinetts unter Kaiser Wilhelm I., eines hochbewähr-
ten, vorbildlichen preußischen Staatsdieners aus unserer besten Zeit, derssich
um die Aufrechterhaltung eines guten Einvernehmens zwischen unserem
alten Kaiser und seinem gewaltigen Kanzler und damit um das Vaterland
unvergängliche Verdienste erworben hatte. Während vieler Jahre hatte der
Vater Wilmowski es verstanden, einerseits den reizbaren, leicht argwöhni-
schen und nicht immer bequemen Kanzler zu einem rücksichtsvollen Be-
nehmen gegenüber seinem greisen Herrn zu bewegen, andererseits bei
letzterem das Vertrauen zu seinem großen Diener immer wieder neu zu
kräftigen. Der Sohn war eines solchen Vaters würdig, von dem er nicht
Der Chef der
Reichskanzlei