Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

XXVI KAPITEL 
Der englische Volkscharakter - Unsere Unterschätzung Englands » Unsere Irrtümer in 
Beurteilung und Behandlung fremder Völker - Hatzfeldt an Holstein über England, 
Holstein über ein deutsch-englisches Bündnis - Vorgänge in Ostasien - Bericht des 
Prinzen Heinrich an Bülow - Japan » Herr von Mumm Nachfolger Kettelers, sein erster 
Bericht - Innere Politik 
ein Lebenslauf hat mich mit vielen amtlichen Persönlichkeiten in 
dienstliche Berührung gebracht. Ich habe als Untergebener, als Kollege, 
als Vorgesetzter zahlreiche Botschafter, Staatssekretäre und Minister an 
der Arbeit geseben. Es gibt wenige deutsche Diplomaten, die ich nicht ge- 
kannt oder über deren Leistungsfähigkeit ich mir nicht ein persönliches 
Urteil gebildet hätte. Ich darf wohl sagen, daß mir kein Diplomatentypus 
unbekannt blieb. Wenn ich wiederholt Briefe und Berichte unseres lang- 
jährigen Botschafters in London, des Grafen Paul Metternich, wiedergebe, 
so geschieht das nicht nur wegen ihres sachlichen Inhalts, sondern weil ich 
in ihnen Musterbeispiele einer ruhigen, abgewogenen, durchdachten Be- 
richterstattung erblicke. Zu den guten Seiten des Grafen Paul Metternich 
gehörte, daß er, ohne sich wie manche Deutsche krampfhaft zu bemühen, 
dem Engländer abzugucken, wie dieser sich räuspert und wie er spuckt, 
wie er die Hände in die Hosentaschen steckt, wie er grüßt oder vielmehr nicht 
grüßt, ohne also den biederen und tüchtigen deutschen Michel zu einem 
Affen des hochmütigen John Bull zu degradieren, einen offenen Blick für die 
guten und großen Seiten und vor allem für die ungeheuren latenten Kräfte 
des britischen Weltreichs besaß. Im Gegensatz zu den meisten Deutschen 
schätzte Metternich diese Kräfte richtig ein. Ihre Unterschätzung war 
namentlich in Preußen und insbesondere in preußischen militärischen und 
aristokratischen Kreisen ein tief eingewurzelter Irrtum. Als im August 1914 
dem Chef des Generalstabs, Generaloberst von Moltke, die englische Kriegs- 
erklärung gemeldet wurde, meinte er tief aufatmend: „Gott sei Dank! Ich 
habe die englische Armee lieber vor mir, damit ich sie schlagen kann, als 
unerreichbar in mißgünstiger Neutralität.‘ In München wurde öffentlich 
eine Äußerung König Ludwigs III. angeschlagen: „England hat uns den 
Krieg erklärt, ein Feind mehr, um so ehrenvoller unser Sieg.‘ In mehr als 
einer deutschen Stadt sang nach dem Bekanntwerden der englischen Kriegs- 
Deutsche 
Urteile über 
England
	        
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