Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

IM VERWÜSTETEN PEKING 439 
an. Als ich ihn zu der Furchtlosigkeit beglückwünschte, mit der er bereit 
wäre, sich auf den Stuhl eines ermordeten Vorgängers zu setzen, meinte er 
lächelnd: „Ich habe mich viel mit diplomatischer Geschichte beschäftigt 
und festgestellt, daß noch niemals an demselben Posten zwei diplomatische 
Vertreter derselben Macht hintereinander ermordet worden sind. Also bin 
ich in Peking sicherer als irgendwo sonst.“ Er trat dann ohne Verzug die 
Fahrt nach Peking an, von wo er mir bald nach meiner Ernennung zum 
Reichskanzler in einem längeren Schreiben seine ersten Eindrücke schilderte. 
Wie die meisten unserer Auslandsvertreter begann er mit der Versicherung, 
wie sehr es ihn beglücke, daß bei der Wiederbesetzung des Kanzlerpostens 
die Wahl Seiner Majestät gerade auf mich gefallen wäre. Donec eris felix, 
multos numerabis amicos. Aufrichtig, wie ich glaube, fügte Mumm hinzu, 
er wünsche sich selbst Glück, daß ein so gütiger und menschlichen Re- 
gungen zugänglicher Vorgesetzter ihm nunmehr zum dritten Male beschert 
würde, und freue sich noch nachträglich seiner Versetzung nach Bukarest, 
die ihn mir nahegebracht hätte. Er gab eine malerische Schilderung der 
großen Schwierigkeiten seiner Fahrt von der Küste nach Peking, die er bei 
eisigem Nordsturm, eingehüllt in gewaltige Staubwolken, in „dem“ Salon- 
wagen, d.h. in dem einzigen besseren Waggon der Eisenbahn, unternommen 
hätte, in dem trotz der Kugellöcher ein kleiner Ofen die Existenz einiger- 
maßen erträglich gemacht habe. Verglichen mit den Nachtquartieren in 
den chinesischen Häusern wäre ein besserer Schweinestall bei uns ein 
Palast. Eine Kälte von drei bis vier Grad unter Null wäre durch die nur 
mit einer Matte verdeckte Türöffnung und durch die Papierfenster in 
empfindlichster Weise eingedrungen; er begriffe noch nicht, wie er ohne 
Lungenentzündung davongekommen sei. Nach dem Verlassen der Eisen- 
bahn mußte die Fahrt im Wagen fortgesetzt werden, mit ganz überwiegend 
schlechten Pferden. „Glücklicherweise befand sich unter den Pferden der 
Eskorte zufällig auch ein ostpreußisches, und da ein Preuße eben unter 
allen Umständen seine Pflicht tut, wurde es angespannt und brachte uns 
gegen sechs Uhr abends nach Tungchou.“ Der Wegvondortnach Pekinghatte 
dem Gesandten einen trostlosen Eindruck gemacht. Alle Ortschaften gänz- 
lich verödet und vollständig in Trümmern. Die einzigen lebenden Wesen 
halb verhungerte Hunde, die keine Leichen mehr zum Fressen fanden. 
Auch der erste Eindruck von Peking war sehr niederdrückend gewesen. 
Die gewaltigen Steinmauern erschienen dem Gesandten wie Gefängnis- 
mauern, und die grenzenlose Verwüstung verstimmte sein Gemüt. Nichts 
als Schutt und Trümmer. Er fuhr durch das Tung-Pien-Men-Tor, auf dem 
„unsere stolze schwarz-weiß-rote Flagge‘“ wehte, in die chinesische Stadt 
und dann durch das weltberühmte Hatamen-Tor in die Tatarenstadt. 
Die Straße vom Hatamen-Tor an, in welcher der Vorgänger von Mumm
	        
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