NIEMALS MIT BISMARCK ALLEIN 23
allgemeine Unterhaltung aufgenommen wurde, an der Baron Stumm
sich lebhaft beteiligte, der sich als ein ebenso liebenswürdiger Gesell-
schafter zeigte, wie er in London und Paris, in Petersburg und Madrid
ein fähiger und tüchtiger Diplomat gewesen war. Ferdinand Stumm hatte
nur eine kleine Schwäche: er war ein „malade imaginaire‘“. Er erfreute sich
einer ausgezeichneten Gesundheit und sollte sich bis in ein vorgeschrittenes
Alter ungewöhnliche körperliche und geistige Elastizität und ein jugend-
liches Äußeres bewahren. Dabei klagte er unausgesetzt, daß ihm kein langes
Leben bevorstünde. Seine reizende Tochter, die Fürstin Maria Hatzfeldt-
Wildenburg, schenkte ihm einmal zu seinem Geburtstage einen von ihr
selbst geschnitzten schönen Rahmen, in den sie unter Abwandlung des
bekannten rührenden Ausspruchs des sterbenden Kaisers Friedrich die
Worte eingegraben hatte:
„Lerne zu klagen, ohne zu leiden.“
Fürst Bismarck fand während unseres Besuches am 28. Juni keine
Gelegenheit, allein mit mir zu sprechen. Ich hatte die Empfindung, daß
Fürst Hohenlohe das auch nicht gern gesehen haben würde. Nicht aus
Eifersucht, die diesem wahren Grandseigneur fernlag, aber vielleicht, um
bei seiner nächsten Begegnung mit dem Kaiser Seiner Majestät mit gutem
Gewissen sagen zu können, ich hätte keine Gelegenheit gehabt, allein mit
dem Alt-Reichskanzler zu sprechen. Namentlich Holstein, vor dem Fürst
Hohenlohe eine starke Scheu empfand, wollte er das mit gutem Gewissen
versichern können. Seit der Entlassung des Fürsten Bismarck wurde
von Holstein mit verbissener Gehässigkeit der Grundsatz vertreten, daß
unter keinen Umständen der Schein entstehen dürfe, als ob der neue Kurs
sich bei dem großen Träger des alten Kurses Rat hole oder der Belehrung
von dieser Seite bedürfe. Während sich Fürst Hohenlohe mit Gräfin
Rantzau und Baron Stumm unterhielt, fand Fürst Bismarck aber doch
Gelegenheit, mir mit einem Seitenblick auf den Fürsten Hohenlohe zu
sagen: „Es ist nützlich, ihn auf Werki scharf zu machen, damit er säuberlich
mit dem Knaben Absalon in St. Petersburg fährt, den zu verstimmen oder
gar zu reizen wir keinen Anlaß haben.“ Es war mein erster Besuch in
Friedrichsruh. Ich war ergriffen von der Einfachheit des Hauses, der Be-
scheidenheit der Möbel, der völligen Schmucklosigkeit und, um alles zu
sagen, von dem unkünstlerischen Charakter der ganzen Einrichtung. Kein
schönes Bild hing in Friedrichsruh außer einem herrlichen Lenbachschen
Porträt des Fürsten. Von einer größeren Bibliothek war nichts zu sehen,
von Plafonds, Gobelins und orientalischen Teppichen war erst recht nicht
die Rede. Die Sonne Homers hatte diesem Hause nicht gelächelt, und von
dem Glanz der italienischen Renaissance, der manche Schlösser in Deutsch-