446 TAFEL IM WEISSEN SAAL
Et l’on vit se dresser sur le monde
L’homme predestind,
Et les peuples beants ne purent que se tairc,
Car de ses deux bras il leva sur la terre
Un enfant nouvcau ne.
An jenem 6. Mai 1900 erhob Wilhelm II. nach einem begeisterten
Hymnus auf seine eigenen Vorfahren und sein eigenes Haus sein Glas mit
dem Wunsch, daß allen seinen Vettern und allen seinen Oheimen die Genug-
tuung zuteil werden möge, die er selbst in diesem Augenblick empfinde, daß
auch ihnen ihre Länder und ihre Untertanen ihre Arbeit so danken möchten,
wie sie dem Kaiser seine Untertanen dankten. Von den an der Tafel im
Weißen Saal mir gegenüber sitzenden Onkeln und Vettern des Kaisers
Wilhelm II. sahen nach dieser gar zu selbstgefälligen Expektoration die
älteren verwundert und leise froissiert aus, die jüngeren schauten ironisch
drein. Jedenfalls konnte es auch für denjenigen, der die guten Absichten
des Kaisers so genau kannte, der sein im Grunde edles Herz und seine in
vieler Hinsicht glänzende Begabung so rückhaltlos anerkannte wie ich,
nicht zweifelhaft sein, daß sein Auftreten und sein Temperament nicht nur
die ständige Gefahr unliebsamer Zwischenfälle in sich barg, sondern daß
immer wiederholte Entgleisungen schließlich den in Deutschland vorhan-
denen sehr großen Fonds an monarchischer Gesinnung gefährden müßten.
Ich war entschlossen, die Grundlagen der Monarchie, die Rechte der
Krone gegenüber den Parteien und gegenüber dem Reichstag mit Festig-
keit und, wenn es nicht anders ging, so rücksichtslos zu wahren und zu ver-
teidigen, wie ich mich als junger Husar auf den Schlachtfeldern der
Pikardie meiner Feinde erwehrt hatte. Aber die Animosität, die den Kaiser
und einen Teil seiner näheren Umgebung gegenüber dem Parlament als
solchem erfüllte, teilte ich nicht. Ich wünschte nicht die Volksvertretung
auszuschalten, in ihrem Ansehen herabzusetzen oder in den Hintergrund
zu schieben, die Volksrechte oder auch nur die Freiheit der Presse zu
beschränken. Gerade für Wilhelm II. erschienen mir diese Schranken
nützlich und notwendig, schon im Hinblick auf seine Impressionabilität
gegenüber Schmeichlern und Obrenbläsern, auf die sein Vater und sein
Großvater nicht hörten, die aber bei ihm leichteres Spiel hatten. Bismarck
hatte gesagt, daß, wenn es kein Parlament gäbe, der Kammerdiener regieren
würde. Cavour hatte gemeint: „La plus mauvaise chambre vaut mieux que
P’antichambre.‘“ Diese meine Überzeugung war weit entfernt von Unter-
würfigkeit oder auch nur von Ängstlichkeit und dadurch hervorgerufener
übertriebener und schwächlicher Rücksichtnahme gegenüber den Parteien.
Ich habe mich nie einer Partei ganz zu eigen gegeben, die Staatsräson stand
mir immer hoch über den Fraktionen. Ich hielt es mit Jakob Grimm, der