Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

448 „ES MUSS JA DOCH EINMAL KRACHEN“ 
kannst du gut anwenden, wenn dir die Leute mit Besorgnissen kommen!‘ 
Ich erwiderte: ‚Der alte Kampf spielt in die jetzige Lage noch hinein. Er 
gipfelt in einem bedenklichen Gegensatz zwischen der Persönlichkeit 
Eurer Majestät und dem gesamten Volk. Die zweifellos moderne Seite 
Eurer Majestät, durch welche Sie sich an die Spitze des Neuen stellen, 
welche Gestalt es auch haben möge, trägt einen fast fortschrittlichen 
Charakter, aber sie wird paralysiert durch eine zu harte, in die Öffentlichkeit 
tretende Energie. Durch Reden, durch Telegramme erwecken Eure Ma- 
jestät den Eindruck, den absoluten König wieder aufleben lassen zu 
wollen. Das aber wird von keiner Partei mehr des ganzen Reichs verstan- 
den und begriffen. Der Parlamentarismus sitzt tief in allen deutschen 
Knochen, und der von Ihnen behauptete Zusammenbruch des Parlamen- 
tarismus ist nur eine Unzufriedenheit mit einigen Formen desselben.“ 
Nicht ohne Schärfe antwortete der Kaiser: ‚Ich beanspruche für Mich das 
freie Wort wie jeder deutsche Mann, Ich muß sagen, was Ich will, damit 
die vernünftigen Elemente wissen, wie und wem sie folgen sollen. Wenn 
Ich schweige, würde das (wörtlich!) ‚völlig fertige Bürgertum‘ gar nicht 
wissen, was es zu tun hat!‘ Ich erwiderte: ‚Taten sind für einen Herrscher 
besser als Worte.‘ Darauf Seine Majestät: ‚Und die sollen sie auch zu 
sehen bekommen.‘ Dann lächelnd: ‚Du hast nur Angst, daß Ich mit 
Gewaltmaßregeln gegen das Parlament vorgehe.“ Ich erwiderte: ‚Nein, 
Angst habe ich deshalb nicht, weil Eure Majestät mir zu oft gesagt haben, 
daß Sie nur eine Änderung der Verfassung vornehmen könnten, wenn aus 
dem Volk, aus dem Parlament heraus der bezügliche Wunsch an Sie 
herantrete. Sie sind ja auch ein viel zu moderner Mensch und haben viel 
zu viel Verstand, um nicht zu erkennen, daß Deutschland ohne ein Par- 
lament nicht mehr leben kann und will.‘ Der Kaiser rief aus: ‚Das heißt, 
es muß ein modifiziertes Parlament haben — nicht das heutige!“ Ich 
antwortete: ‚Darüber ließe sich ja einmal reden, aber auch nur auf dem 
angegebenen Wege. Und dieser Weg ist unfahrbar, wenn sich das Volk in 
seiner Mehrheit in einem Gegensatz zu seinem Kaiser befindet.‘ Darauf 
Seine Majestät: ‚Wäre dies wirklich der Fall, so kommt es eben zu einer 
Revolution, in irgendeiner Form muß es ja doch einmal krachen. Alles 
führt darauf hin, und man muß deshalb den Kampf akzeptieren.‘ Ich 
sagte: ‚Den inneren Kampf? Den eine Koalition der europäischen Mächte 
nur erwartet, um über uns herzufallen ? Die Russen bezahlen Zeitungen, die 
Engländer die Streiks in Hamburg, die Franzosen hetzen uns die Slawen 
auf den Hals, und wir laufen in die Falle.‘ Der Kaiser: ‚Ja, wollte man 
diese Lage nur verstehen und begreifen, was Ich mit meinen Ermahnungen 
bezwecke. Aber dazu sind die Deutschen viel zu eng und kurzsichtig, auf- 
gehend in kleinlichen Leidenschaften.‘ Ich rief aus: ‚Und da sind wir
	        
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