454 DER LOTSE VON BARI
Schloß Achilleion angetreten. Von Bari trug ihn die „Hohenzollern“ nach
Korfu. Knesebeck hielt sich während der Fahrt seit einer Viertelstunde in
einer der sogenannten „Lauben“ auf, kleinen, offenen, halb versteckten
Kabinen auf dem Oberdeck, als plötzlich der Kaiser auftauchte, der mit
einem anderen Herrn auf dem Deck auf und ab ging. Knesebeck mochte
nicht aus der Laube hervor und dem Kaiser in den Weg treten, weil dies
Seine Majestät leicht verstimmte. Er blieb also sitzen und wurde der unfrei-
willige Zuhörer des von dem Monarchen sehr laut geführten Gesprächs.
Der Kaiser sprach abwechselnd Englisch, Französisch, Italienisch, seltener
Deutsch, er sprach über alles und jedes, über seine auswärtige und seine
innere Politik, über sein persönliches Verhältnis zu allen großen Souveränen,
über seine Minister, de omni re scibili et de quibusdam aliis. Knesebeck
zerbrach sich den Kopf, wer der Herr sein könnte, dem der Deutsche Kaiser
so offen sein ganzes Herz ausschüttete und der sich dabei selbst rein zu-
hörend verhielt. Er riet nacheinander auf einen englischen Lord, einen
französischen Sportsmann, einen italienischen Admiral, einen russischen
Großfürsten oder einen griechischen Prinzen. Als der Kaiser und sein
Begleiter verschwunden waren, fragte Knesebeck einen vorbeieilenden
Matrosen, wer der Herr gewesen sei, mit dem Seine Majestät so lange und so
eifrig konversiert habe. „Das war der Lotse‘, antwortete der brave Matrose,
„den wir in Bari an Bord genommen haben, damit er uns nach Korfu
bringt.“ Wenn später der Kaiser vor Knesebeck und mir mit Ausländern
eifrig große Konversation machte, pflegte Knesebeck zu mir zu sagen:
„Der Lotse von Bari!“
Das Sprechbedürfnis des Kaisers, sein Bedürfnis, sich zu entladen,
sfogarsi, wie die Italiener es malerisch und treffend bezeichnen, war unbe-
grenzt. Er litt tatsächlich an der Krankheit der „parlantina“, wie die
(selbst gesprächigen) Italiener übertriebene Redseligkeit nennen. Der Ge-
fahr unüberlegter Äußerungen und Gespräche ist Wilhelm II. sich nie recht
bewußt geworden, jedenfalls nicht vor der durch solche in Highcliffe
geführte, sehr unbesonnene Gespräche provozierten Novemberkrisis von
1908. Bei einem der Morgenbesuche, die mir der Kaiser in Berlin fast täglich
zwischen neun und zehn Uhr abstattete und während deren er gewöhnlich
mit mir im Reichskanzlergarten auf und ab ging, brachte er einmal seinen
Bruder, den Prinzen Heinrich, mit. Der Prinz schien von vornherein ver-
stimmt, der Kaiser war barsch und unfreundlich mit ihm. Insbesondere
sprach er sich in den unfreundlichsten und schärfsten Ausdrücken über den
vom Prinzen Heinrich zärtlich geliebten Schwager Seiner Königlichen
Hoheit, den Zaren, aus, den er mit Kosenamen wie „Schlappier“, „Jam-
merhuhn“ und ärgeren Prädikaten belegte. Als sich der Prinz endlich mit
hochrotem Kopf entfernt hatte, fragte ich den Kaiser, ob er ganzsicher wäre,