460 GEISTER UND GESPENSTER
bemessen sei, unmittelbar nach der ersten Szene abreisen. Die Kaiserin
müsse durch die Gefahr, ihn zu verlieren, zur Besinnung gebracht werden.
In einem späteren Brief hob Eulenburg hervor, daß „‚die großen Szenen“ von
seiten der Kaiserin sich häuften. Ihre Nerven bedürften der Gesundung,
auch äußerlich sei schon eine Wirkung der zerstörten Nerven zu sehen in
dem runzligen, früh gealterten Gesicht und den grauen Haaren. Der Kaiser
hätte zu ihm, Eulenburg gesagt: „Eine Kur müsse auch deshalb gemacht
werden, weil ich meine Ruhe brauche... Es ist eine Pflicht, die Ich habe,
für Meine Ruhe zu sorgen.“ Eulenburg wiederholte immer wieder, es müsse
durch eingreifende und vielleicht für die arıne Kaiserin momentan schmerz-
liche Maßregeln das Familienglück „gerettet‘‘ werden, mußte aber selbst
hinzufügen, daß große Vorsicht geboten sei, um die Kaiserin nicht völlig
krank zu machen oder zu einem Verzweiflungscoup zu treiben.
Am 25. September schrieb Phili, er habe, gepeinigt von Brand-
phantasien, wie er sie zuletzt in Liebenberg gehabt hätte, miserabel ge-
schlafen. Der Kaiser habe einen starken Schnupfen. „Ansteckung von der
Kaiserin!“ Am Abend wäre von Gedankenübertragung die Rede gewesen,
der Kaiser habe über die Möglichkeit einer Verbindung zwischen Lebenden
und Geistern gesprochen. „Alles bleibt ziemlich passiv und vorsichtig,
doch eher zustimmend. Admiral Hollmann zeigte sich als unverhüllter An-
hänger des Spiritismus.“ Offenbar um mich nicht zu beunruhigen, fügte
Eulenburg hinzu, er habe, um der Konversation über Geisterund Gespenster
ein Ende zu setzen, eine scherzhafte Geschichte über einen Geist erzählt,
der eine gefüllte Kompottschüssel getragen habe. „Damit wendet sich die
Unterhaltung der Realität zu, deren Boden der Kaiser völlig verloren
hatte. Ich habe den Eindruck, daß der sehr kleine Kreis ruhiger, anständiger
Leute nicht das Gehörte in die Provinz tragen wird.“
Nach seinen Mitteilungen hatte Philipp Eulenburg immer wieder ver-
sucht, auf die Entfernung der Prinzen hinzuwirken, und Seiner Majestät
geraten, die Kaiserin mit „gebildeten Damen“ zu umgeben. Er war stolz
darauf, daß er den Mut gefunden hatte, dem Kaiser zu raten, wenn die
Kaiserin wieder nächtliche Szenen machte, das Zimmer zu verlassen, sich
in seinem eigenen Zimmer niederzulegen und die Tür abzuschließen. Der
Kaiser hatte dazu genickt und „sehr bedächtig‘“ geantwortet: „Das könnte
man ja versuchen, das ist kein übler Gedanke.‘ Eulenburg fügte hinzu:
„Ich gestehe, daß eine so kindliche Naivität in seiner Zustimmung zu dem
doch recht naheliegenden, einfachen Gedanken lag, daß mir recht klar
wurde, zu welchem Kultus das kaiserliche Ehebett durch die Kaiserin —
und durch die Kaiserin Friedrich — erhoben worden ist.‘ Begreiflicherweise
wünschte Philipp Eulenburg, daß die Kaiserin nicht von solchen Gesprächen
mit dem Kaiser erfahre. „Ich hoffe‘, schrieb er, „daß der Kaiser um seiner