Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

ANGST VOR ENGLAND 461 
Würde willen nichts der Kaiserin von meiner Unterhaltung sagt. Denn da 
er mir eingestand, daß die Kaiserin sehr eifersüchtig auf mich sei, sie liebe 
durchaus nicht die längere Anwesenheit von Freunden, so könnte das eine 
böse Geschichte werden.“ 
In einem Brief vom 1. Oktober, auch noch aus Rominten, zeigte sich 
Eulenburg beunruhigt durch meinen kurz vorher in Friedrichsruh Herbert 
Bismarck abgestatteten Besuch, zu dem ich die alten freundschaftlichen 
Beziehungen aufrechterhielt, obschon er bei Seiner Majestät in tiefster Un- 
gnade stand. „Menschlich wird Friedrichsruh Dir wenig geboten haben. 
Das Rauschen der alten Buchen ist ein Widerspruch zu dem versetzten 
weltlichen Ehrgeiz Herberts. Der Alte paßte besser hinein, wie ein merk- 
würdiges Untier, das allerhand Dämonisches daraus hörte.‘“ Über meine 
Sorgen und Mühen im Auswärtigen Amt tröstete Philimich mit den Worten: 
„Du kannst fest davon überzeugt sein, daß solche Mühe und Not nicht um- 
sonst für Deine Seele sind, weil Du sie Dir rein und edel erhalten hast — 
trotz allen Giftes, das böse Dämonen in Dich hineinzugießen versuchen, 
Geister, die hier nicht bestanden haben.“ 
Über die politische Stimmung des Kaisers hatte mir Eulenburg am 
28. September 1900 aus Rominten berichtet: „Du kennst die Ansicht von 
Tirpitz über England resp. seine Angst vor England. S. M. äußerte sich 
scharf gegen England, und es blitzte sein Haß namentlich gegen Salisbury 
wie Wetterleuchten auf. Tirpitz wagte nicht, seine Angst zu zeigen. Seine 
Bemerkungen über die drohende große Gefahr waren sehr vorsichtig. 
Momentan ist also die Allerhöchste Stimmung ebenso scharf gegen England 
wie gegen Rußland, was zu einer Art Ruhe führt: otium cum veneno. In 
einer längeren Unterredung mit Tirpitz unterwegs sagte er mir, daß er die 
Mission Waldersee füraußerordentlich gefährlich hielte. Daß alle anderen 
Großmächte nur darauf lauerten, uns eine unsterbliche Blamage zu bereiten, 
sei über jeden Zweifel erhaben.“ 
Wenn ich diese in die Zeit vor meiner Kanzlerschaft zurückreichenden 
Briefe Eulenburgs hier anführe, so geschieht das, um, besser als ich es auf 
Grund eigener Beobachtungen darzustellen vermöchte, die Kompliziert- 
heit der Verhältnisse zu beleuchten, die ich am kaiserlichen Hofe vorfand 
und über deren Tragweite und Tragik ich mir von vornherein vollkommen 
im klaren war. Wilhelm II. war eine in sich widerspruchsvolle Natur. 
Fürst Guido Henckel-Donnersmarck pflegte zu sagen, der Kaiser erinnere 
ihn an einen Würfelbecher, in dem die Würfel sich gegeneinander stoßen. 
Er sei keine einheitliche, in sich geschlossene, harmonische Individualität, 
in der sich alle Eigenschaften gegenseitig durchdringen, wie bei dem che- 
mischen Prozeß der Amalgamierung sich widerstrebende Stofle und Ele- 
mente verbinden. Alle Minister, und ich wahrlich nicht am wenigsten,
	        
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