466 DIE HUNNENBRIEFE
Couloir des Reichstags begegnete. Ich habe oft gedacht, wie anders manches
in Deutschland verlaufen wäre, wenn Fürst Bismarck seinen Gegnern gegen-
über hier und da den Menschen hervorgekehrt hätte, nicht nur den uner-
bittlichen politischen Antagonisten. Ich bin überzeugt, daß ein so gewaltiger
Mann, dessen Größe ja nicht zu bestreiten war, Richter und Lasker, Windt-
horst und Rickert menschlich hätte näherkommen können. An politischem
Kampf würde es auch dann natürlich nicht gefehlt haben, aber er wäre nicht
so gehässig, nicht so giftig geführt worden, wie dies bei uns vielfach der
Fall war. Im Gegensatz zu manchen anderen linksstehenden Politikern
hatte August Bebel Sinn für das Komische. In seinen Reden trat dies nur
selten hervor, dazu war er zu pathetisch, auch zu fanatisch. Aber als ich
seinen heftigen Klagen über die angebliche Grausamkeit deutscher Soldaten
in China das für unsere Soldaten günstige Zeugnis des chinesischen Ge-
sandten in Berlin gegenüberstellte und daran die Bemerkung knüpfte, daß
hinsichtlich der Beurteilung chinesischer Vorgänge der chinesische Ge-
sandte mir mehr Vertrauen einflöße als er, denn der sei doch ein geborener
Chinese, Bebel aber nur ein freiwilliger Chinese, ein Chinese aus Wahl-
verwandtschaft*, quittierte Bebel diese Wendung mit ungekünstelter
Heiterkeit. Meine Verteidigung der Ehre und des guten Rufs unserer
braven Soldaten fand übrigens den Beifall der großen Mehrheit des Reichs-
tags. Es war ja auch nur in Deutschland möglich, daß die sozialistische
Presse sich bestrebte, die Soldaten des eigenen Landes durch Veröffent-
lichung angeblicher Soldatenbriefe aus China im Lichte grausamer Bar-
baren erscheinen zu lassen. Daß die sozialistische Presse diese zum größten
Teil ohne Frage erfundenen Briefe als „Hunnenbriefe‘ bezeichnen konnte,
war die Folge der bedauerlichen Entgleisung des Kaisers in seiner Bremer-
havener Rede vom 27. Juli 1900. Aber ein solches Beschmutzen des eigenen
Nestes, wie sich dies damals unsere sozialdemokratische Presse leistete,
wäre in keinem anderen Lande von der öffentlichen Meinung geduldet
worden.
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe I, S. 151; Kleine Ausgabe I, S. 171.