ONM KRÜGER WILL NACH BERLIN 471
fangreichen Ressorts in staunenswerter Weise. Es wurde ihm mit Recht
nachgesagt, daß er der einzige Mensch in Deutschland wäre, der alle Be-
stimmungen nicht nur der Gewerbeordnung, sondern auch sämtlicher Ver-
sicherungsgesetze kenne. In jedem Lande der Welt würden seine Kenntnisse
und seine Leistungsfähigkeit ihm eine hervorragende Stellung gesichert
haben. Aber von ihm galt das Wort, das in der Apokalypse an den Engel
der Gemeinde zu Ephesus gerichtet wird: „Ich weiß deine Werke und deine
Arbeit, und bist nicht müde geworden, aber ich habe wider dich, daß du
die erste Liebe verlässest.‘“ Es fehlten dem in so mancher Hinsicht ausge-
zeichneten Manne die Liebe, die menschliche Güte, das Herz. Wie er hart
war mit seiner originellen, gar nicht weltklugen, aber gescheiten und
herzensguten Frau, so war er es auch mit den Menschen, mit denen ihn
das Schicksal zusammenführte. Vielleicht war es der lange Kampf ums
Dasein, der einen harten Panzer um sein Herz gelegt hatte. Er hatte. eine
schwere Jugend gehabt und sich ohne Konnexionen, ohne Vermögen
durchschlagen müssen. Er konnte sich auf das Wort des Tacitus berufen:
„Eo immitior, quia toleraverat.“
Wenn es mir bei der rednerischen Unbeholfenheit der meisten deutschen
Volksvertreter nicht schwer fiel, die Entgleisungen des Kaisers vor dem
Reichstag wieder einzurenken, leider damit noch nicht vor Europa, und
wenn mir auch die Rettung des Grafen Posadowsky gelang, so lagen hin-
sichtlich der Burenfrage die Dinge verwickelter. Am 19. Oktober 1900 hatte
sich der Präsident Krüger in Laurenzo Marques nach Europa eingeschifft.
Am 2. Dezember traf er in Köln ein, um sich von dort nach Berlin zu be-
geben. Die Kölner bereiteten ihm einen enthusiastischen Empfang. Als der
Kaiser die Nachricht in den Morgenblättern gelesen hatte, bat er mich
sogleich nach dem Neuen Palais und sagte mir in großer Erregung: gleich-
zeitig mit der Kunde von der Ankunft des Präsidenten Krüger in Deutsch-
land habe er ein Telegramm seiner Großmutter, der Königin Victoria, er-
halten, in dem sie ihn dringend bäte, im Interesse guter Beziehungen
zwischen dem deutschen Volk und dem englischen Volk, die ihr sehr am
Herzen lägen, den Präsidenten nicht zu empfangen. Ich erwiderte, daß bei
aller Verehrung für die weise und deutschfreundliche Königin die Rücksicht
auf die Großmutter Seiner Majestät meine politischen Entschließungen
und Ratschläge nie beeinflussen würde. Aber ohne Rücksicht auf das Tele-
gramm Ihrer Großbritannischen Majestät, von dem ich Seine Majestät
bäte nach außen nichts verlauten zu lassen, wäre ich der Ansicht, daß im
Interesse freundlicher und friedlicher Beziehungen zwischen Deutschland
und England, also auch im deutschen Interesse, der Kaiser besser tun
würde, den Präsidenten Krüger nicht zu empfangen. Ich würde diesen
Standpunkt im Reichstag ohne Zögern und mit Nachdruck vertreten. Der
Präsident
Krüger nicht
empfangen