Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Reichstags- 
debatte 
über die Buren 
474 FINGER ZWISCHEN TÜR UND ANGEL 
abteilung, Kayser, „gezwungen“ worden sei. Er habe sich lange geweigert, 
dies Telegramm zu unterschreiben, sich aber schließlich, wenn auch sehr 
ungern, seinen verantwortlichen Ratgebern gefügt. In aller Unparteilichkeit 
muß ich sagen, daß diese letztere Version der Wahrheit doch wohl nicht 
ganz entspricht. Andernfalls würde der Kaiser mir schon früher, nament- 
lich während der Burendebatte vom Dezember 1900, den nach seiner An- 
sicht richtigen Sachverhalt enthüllt haben. An dem Krüger-Telegramm 
waren, wie ich glaube, alle damals maßgebenden Faktoren beteiligt. 
Wilhelm II. wollte in der Stimmung, die ihn in jenen Tagen beherrschte, 
den Engländern und namentlich seinem Onkel Eduard „eins auswischen“. 
Marschall hoffte durch dieses Telegramm, das er im Reichstag mit Emphase 
vertrat, sich populär zu machen, denn er litt unter seiner Unpopularität, 
die eine Folge der persönlichen Feindschaft des Hauses Bismarck gegen ihn 
war. Der alte Kanzler Hohenlohe war ein müder Mann, der die Dinge laufen 
ließ. Und der Kolonialdirektor Kayser war, um mit Bismarck zu reden, 
ein sattelfester Jurist und ein kluger Kopf, aber er konnte, je nachdem dies 
oben gewünscht wurde, rechts und auch links schreiben. 
In meiner Rede vom 10. Dezember 1900* konnte ich zunächst darauf 
hinweisen, daß ich im Frühjahr 1899 auf dem Weg über den Haag und im 
Verein mit der niederländischen Regierung dem Präsidenten Krüger nach- 
drücklich Mäßigung und Vorsicht angeraten hätte. Noch im Juni 1899 
hätte ich ihm die Anrufung einer Vermittlung empfoblen; er habe mir aber 
erwidert, er halte den Augenblick für die Anrufung einer solchen Vermitt- 
lung noch nicht für gekommen. Zum letztenmal hätte ich ihm im August 
1899 vertraulich und dringend geraten, die englischen Vorschläge nicht 
kurzerhand abzulehnen, denn ich wäre davon überzeugt, daß jeder Schritt 
der Buren bei einer der Großmächte in diesem kritischen Augenblick ohne 
irgendein Ergebnis und sehr gefährlich für die afrikanischen Republiken 
sein würde. Wegen des Ausbruchs des Kriegs, stellte ich fest, träfe uns also 
keinerlei Verantwortung. So weit hätten wir freilich nicht gehen dürfen, 
daß wir, um den Ausbruch der Feindseligkeiten zu verhüten, die eigenen 
Finger zwischen Tür und Angel klemmten. Damit würden wir den Buren 
nichts genützt und uns geschadet haben. Die Politik eines großen Landes 
dürfe in kritischer Stunde nicht von den Eingebungen des Gefühls be- 
herrscht, sondern sie müsse lediglich geleitet werden im Hinblick auf das 
ruhig und nüchtern erwogene Interesse des Landes. Jeder Versuch einer 
deutschen Mediation würde zur Intervention geführt haben, diese aber zu 
einer diplomatischen Niederlage oder zu einem bewaffneten Konflikt. In 
einem solchen Konflikt würde es uns ergangen sein wie in einem schönen 
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe I, S. 161; Kleine Ausgabe I, $. 181.
	        
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