Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Besuch 
in München 
476 ORDENSREISE 
meine Bemühungen nichts, ein gutes Verhältnis zu England herzustellen. 
Die Engländer werden sich sagen, daß gegenüber einer derartigen Stim- 
mung im deutschen Volk auch die besten Absichten der Regierung wenig 
bedeuten.“ Nicht ohne Würde erwiderte mir Herr Dr. Ernst Hasse: „Als 
Volksvertreter habe ich wie das Recht so die Pflicht, den Gefühlen des 
deutschen Volkes rückhaltlosen Ausdruck zu geben. An Ihnen, Exzellenz, 
als dem Minister, ist es, dafür zu sorgen, daß unsere diplomatischen Be- 
ziehungen darunter nicht leiden.“ Ich muß sagen, daß mich diese Antwort 
betrübte, denn nie wurde mir klarer, wie unpolitisch der Deutsche ist. 
Der deutschen Menschheit ganzer Jammer faßte mich an, als der Ab- 
geordnete Hasse so sprach, während seine Damen bewundernd zu ihm auf- 
blickten. Als ich ihm am nächsten Tage im Reichstag auf weitere, sehr 
heftige Angriffe von seiner Seite antwortete, sagte ich: „Der Politiker ist 
kein Sittenrichter. Er hat lediglich die Interessen und Rechte seines eigenen 
Landes zu wahren. Vom Standpunkt der reinen Moralphilosophie kann ich 
auswärtige Politik nicht treiben und vom Standpunkt der Bierbank auch 
nicht.‘‘ Das Wort von der Bierbank wurde mir sehr übelgenommen. Ich 
erhielt eine große Anzahl meist anonymer Briefe, in denen dies zum Aus- 
druck kam. Sie wanderten alle in den Papierkorb. Aber auch von einem 
klugen und erfahrenen Freunde wurde mir geschrieben, daß die deutschen 
Kannegießer, also ein sehr erheblicher Teil des deutschen Volkes, mir das 
Wort von der „Bierbank“ nicht verzeihen würden. 
Sobald es mir geschäftlich möglich war, trat ich meine Rundreise bei den 
größeren deutschen Höfen an. Als Staatssekretär hatte ich es absichtlich 
vermieden, sie aufzusuchen. Später waren die Staatssekretäre nicht mehr 
so bescheiden. „Die Ordensreise“ nach Süddeutschland wurde zum ersten 
Programmpunkt jedes Ressortchefs nach der Geschäftsübernahme. Eine 
Ausnahme hatte ich vor meiner Ernennung zum Reichskanzler nur zu- 
gunsten des badischen Hofes gemacht, von dem ich eine Einladung des mir 
besonders freundlich gesinnten Großherzogs Friedrich schon früher ange- 
nommen hatte. Jetzt sagte ich mit dem Hirten Damoetas in den Eklogen: 
„Ab Jove principium!“ und suchte zunächst den Münchener Hof auf. 
Der damals schon fast achtzigjährige Prinzregent empfing mich in 
gütiger Weise und stattete mir unmittelbar nachher einen persönlichen 
Besuch im Hotel „Zum Bayrischen Hof“ ab, wo er in glänzender Rüstig- 
keit die zwei Treppen erstieg, die zu meinen Zimmern führten. Dort an- 
gelangt, überreichte er mir den Hubertusorden mit den Worten: „Das ist 
mein Dank für die Entschiedenheit, mit der Sie meine Jura circa sacra 
vor dem Reichstag gewahrt haben.“ Im ersten Augenblick verstand ich 
nicht recht, welches besondere Verdienst ich mir um Bayern und um das 
Haus Wittelsbach durch meine Haltung in der Reichstagssitzung vom
	        
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