DANK DES HAUSES WITTELSBACH 477
5. Dezember erworben hatte*. In dieser Sitzung war ein vom Zentrum ein-
gebrachter Antrag verhandelt worden, wonach jedem Reichsangehörigen
innerhalb des Reichsgebiets volle Freiheit des Religionsbekenntnisses,
der Vereinigung zu religiösen Gemeinschaften sowie der gemeinsamen
häuslichen und öffentlichen Religionsübung zustehen solle. Dieser Antrag
bezweckte, der von mir durchaus gemißbilligten differenziellen Behandlung
der Katholiken in Braunschweig und namentlich im Königreich Sachsen
entgegenzutreten. In meiner Antwort* hatte ich hervorgehoben, daß ich
die Überzeugungen und Gefühle, die dem Antrag des Zentrums zugrunde
lägen, verstehe und achte, jedoch außerstande wäre, einem Vorschlag zuzu-
stimmen, der die verfassungsmäßige Selbständigkeit der Bundesstaaten auf
einem Gebiet beschränken wolle, das der Zuständigkeit der Landesgesetz-
gebung vorbehaltlich bleiben müsse. Ich ahnte nicht, wie sehr ich damit
einer bayrischen Haustradition entgegengekommen war. Die Dynastie
Wittelsbach beanspruchte, gestützt auf ihre Haltung in und nach der
Reformationszeit, eine Art Schutzstellung über die katholische Kirche,
deren Wesen sich in dem den gallikanischen Artikeln entnommenen Be-
griff der Jura circa sacra ausprägte. Sie fühlte sich gegenüber dem Epi-
skopat in der Position, die einst einem Gutsherrn gegenüber dem Patronats-
klerus seines Kirchensprengels zukam. Über die Wahrung dieser von der
Kirche mit Sanftmut, aber Zähigkeit bekämpften Stellung wachte das
Haus Wittelsbach eifersüchtig, und der ebenso maßvolle wie aufrichtig
katholische Prinzregent würde es als eine Verletzung seiner Regenten-
pflichten und als Versündigung am Erbteil seiner Väter betrachtet haben,
wenn seine Regierung sich nicht mit allem Nachdruck gegen den Antrag
des Zentrums gewendet hätte. Fürst Bismarck wird das Wort zugeschrie-
ben, der Bayer sei der Übergang vom Österreicher zum Menschen. Ich ent-
sinne mich, daß ich wenige Jahre vor dem Sturz des Fürsten mit dem
damaligen Legationsrat Graf Louis Arco im Bismarckschen Hause aß.
Arco war sehr witzig. Er hatte die Gabe, den Fürsten aufzuheitern. Daß
er seine witzigen Bemerkungen mit ernster Miene und in feierlichem Tone
vorbrachte, erhöhte noch ihre Wirkung. Bei jenem Mittagessen im Bis-
marckschen Hause richtete, und zwar in einem Augenblick, wo allgemeines
Schweigen herrschte, Arco die Frage an den Kanzler, ob er ihn um die
Interpretation einer seiner bedeutsamsten Auslassungen ersuchen dürfe.
Als der Fürst zustimmend nickte, fragte Arco weiter: „Haben Eure Durch-
laucht eigentlich gesagt, daß der Bayer der Übergang vom Österreicher zum
Menschen wäre, oder umgekehrt gemeint, der Österreicher sei der Übergang
zwischen dem Menschen und dem Bayern? Die erstere Version wäre für
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe 1, S. 159.