Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

MEISSNER PORZELLAN 491 
fortleben. Und das Verhältnis zwischen ihm und seinem Bismarck ist 
ebenso einzig und ebenso schön wie das zwischen Goethe und Schiller.“ 
König Albert war, als ich ihn 1900 besuchte, schon schwerkrank. Er litt 
an einem überaus schmerzlichen Blasenleiden, dem er kaum anderthalb 
Jahre später erliegen sollte. Er empfing mich auf der Chaiselongue liegend, 
seinen Gesichtszügen waren die Schmerzen anzusehen, die ihm seine 
Krankheit verursachte. Aber sein Geist überwand körperliche Qual. Mit 
ruhiger Klarheit schilderte er mir die innere und die äußere Lage, wie er 
beide auffaßte. Nach außen dürften wir nicht nur aus Gründen der Loyali- 
tät, sondern im eigenen deutschen Interesse Österreich nicht preisgeben. 
Wir müßten aber einem Krieg mit Rußland so lange als irgend möglich aus- 
weichen, denn bei einem solchen sei wenig zu gewinnen und viel zu verlieren. 
„Le jeu ne vaut pas la chandelle.““ Der König war von der Richtigkeit und 
Notwendigkeit unseres Flottenbaues überzeugt. Ein Krieg mit England 
erschien ihm aber vielleicht noch bedenklicher und, rein politisch gesprochen, 
noch überflüssiger als ein Zusammenstoß mit Rußland. Wir müßten die 
nötige Defensivstärke zur Sce erlangen, ohne daß die Engländer unseren 
Handel und unsere Schiffahrt entzweischlügen, solange sie dies ohne Risiko 
für sich selbst vermöchten. „Wir gehen in dieser Beziehung einen schmalen 
und schlüpfrigen Weg. Aber für ein scharfes Auge, einen festen Fuß und 
ein tapferes Herz ist alles möglich — freilich nur, wenn die nötige Vorsicht 
und Geschicklichkeit dazukommen.‘“‘ Die sozialdemokratische Bewegung 
war für König Albert, dessen Land bei seiner wirtschaftlichen Struktur 
ganz überwiegend auf die Industrie angewiesen und der sozialistischen 
Wühlarbeit besonders ausgesetzt war, ein Gegenstand großer und ernster 
Sorge. Er war aber zu einsichtig, auch zu feinfühlig, um die Rettung nur 
von der Gewalt zu erwarten. Selbst abgesehen von der Frage, ob Kaiser 
Wilhelm II. der Mann sein würde, einen Staatsstreich durchzuführen, 
stand für ihn in erster Linie der Gedanke: Et apr&es? Wie in der auswärtigen, 
so läge auch in der inneren Politik das Heil in Kaltblütigkeit und ruhiger 
Festigkeit. „Wenn Sie das unserem guten Kaiser nach und nach klar- 
machen, so erwerben Sie sich dadurch ein ganz großes Verdienst.‘ Wie von 
fast allen deutschen Fürsten, wie von Bismarck, wie von fast allen unseren 
älteren Staatsmännern wurde auch von König Albert die richtige Behand- 
lung des Kaisers als die wichtigste Aufgabe des Reichskanzlers angesehen. 
„Sie sollen die glänzende Begabung des Kaisers für das Reich, für uns alle 
verwerten, aber gleichzeitig der Riesengefahr vorbeugen, daß seine Fehler 
und Schwächen, daß die bedenklichen Seiten seines Charakters uns zu- 
grunderichten.‘““ Neben König Albert stand, während er so mit mir sprach, 
ein hübscher Tisch aus Meißner Porzellan, auf dem er seine Unterschriften 
gab, die von Zeit zu Zeit ein Sekretär ihm brachte. Die Gemahlin des
	        
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