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repräsentativen Pflichten seiner Stellung mit Würde und Liebenswürdigkeit
zu erfüllen, das Regieren aber seinen Ministern überließ. Fürst Bismarck
erzählte gern die Anekdote von dem Kurfürsten von Hessen, der zu seinem
Leidwesen vernahm, daß sein Schwager, ein Herzog von Anhalt, von einem
Schlaganfall betroffen worden war. Er entsandte seinen Leibmedikus zu
seinem Schwager, um diesen sorgsam zu untersuchen und dann genauen
Bericht zu erstatten. Als der Leibarzt zurückkam, fragte ihn der Kurfürst:
„Kann mein Herr Schwager noch hören ?“ Die Antwort lautete verneinend.
„Kann er noch sehen ?“ Wieder erfolgte eine verneinende Antwort. „Kann
er noch sprechen ?“ Auch diese Frage wurde kategorisch verneint. „Das ist
ja schrecklich !“ rief der Kurfürst. „Dann wird mein Schwager ja abdanken
müssen.“ Beruhigend entgegnete der Leibarzt: ,„O nein, zum Regieren
reicht es noch aus.‘ Als „Erni“ Hohenlohe nach allerlei Intrigen auf
Wunsch des Kaisers 1905 zur Leitung der Kolonialabteilung berufen wurde
und mehr als repräsentieren sollte, warf er vollständig um. Als Vizepräsident
des Reichstags sollte er sich später gleichfalls nicht gerade mit Ruhm
bedecken.
Fürst Chlodwig Hohenlohe nahm auch nach seinem Rücktritt Anteil an
Brief der Politik. Um die Jahreswende schrieb er aus Schillingsfürst an Holstein,
des Fürsten der ihm seit seiner Pariser Botschafterzeit nahestand: „Verehrter Freund,
Hohenlohe 1 orzlichen Dank für Ihr freundliches, ausführliches Schreiben in der
Krügersache. Nun bin ‘ich vollkommen beruhigt. Vernünftige Leute in
Süddeutschland sehen sehr gut ein, daß die Sache ernst ist und daß wir vor
der Wahl stehen, entweder mit England Krieg zu führen, bei dem uns
Rußland und Frankreich natürlich im Stich lassen würden, oder die Buren
ihrem Schicksal zu überlassen. Was sich für Krüger begeistert, sind Radau-
menschen, die der Regierung Schwierigkeiten bereiten wollen, oder Narren
wie mein Schwager Salm, der meine Schwester zu törichten Demonstrationen
treibt. Bedauerlich ist die Ungeschicklichkeit unserer Polizei in Köln, die
dann der Regierung zur Last geschrieben wird. Ich gehe Montag nach
München, besuche den Prinzregenten und fahre dann nach Meran weiter.
Hier fängt es an ungemütlich zu werden. Der Sturm macht sich mir im
Bette fühlbar. Die Notiz über Miquels Blindekuhspiel hat mich sehr ergötzt.
In freundschaftlicher Ergebenheit. Ch. Hohenlohe.“ Seiner Abneigung
gegen Miquel blieb Hohenlohe bis zum Schluß seines Lebens treu. Schließ-
lich sollten die beiden alten Männer fast um dieselbe Zeit zur großen Armee
abberufen werden: Chlodwig Hobenlohe zweiundachtzigjährig am 6. Juli,
Johannes Miquel dreiundsiebzigjährig am 8. September 1901. Omnes eodem
cogimur.
Ich hatte nach meiner Ernennung zum Reichskanzler den Wunsch nicht
aufgegeben, die ungewöhnliche Begabung des Grafen August Eulenburg