Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

EINER, DER NICHT DEN KOPF VERLOR 495 
für unseren diplomatischen Dienst nutzbar zu machen. Ich machte in dieser 
Richtung noch einen Vorstoß, stieß aber auf den unüberwindlichen Wider- 
spruch des Kaisers. Nicht ohne wehmütige Ironie schrieb mir, nachdem die 
Allerhöchste Entscheidung gefallen war, Graf August Eulenburg: Seine 
Majestät wäre ein so großer Souverän, daß er seine persönliche Bequemlich- 
keit gewiß allen entgegenstehenden Wünschen und Interessen seiner Diener 
und Untertanen voranzustellen berechtigt sei. Der Kaiser vergesse nur 
oder wolle vielmehr aus momentaner Bequemlichkeit den Altersunterschied 
von reichlich zwanzig Jahren vergessen, der ihn von ihm trenne. Das würde 
mit der Zeit nicht besser, sondern schlechter werden zu seinen, Eulenburgs, 
Ungunsten. In zehn Jahren, wenn er überhaupt noch mit so langen Fristen 
rechnen könnte, würde er ein Greis sein, während Seine Majestät sich dann 
immer noch in den besten Jahren befände. Der Moment der Trennung 
käme also doch; die Unbequemlichkeit sei nur verschoben. Die Form der 
Trennung aber werde dann wahrscheinlich für beide Teile und für den Diener 
Seiner Majestät jedenfalls empfindlicher sein als für Seine Majestät. Diese 
Voraussage des sonst so scharfsinnigen Mannes hat sich nicht erfüllt. Wer 
hätte auch voraussehen können, daß viele Jahre später August Eulenburg 
durch seine unerschütterliche Ruhe, seine Geistesgegenwart, seine Würde 
und seine Gewandtheit dem Kaiser nach dessen Fall noch wertvolle Dienste 
leisten und einer der wenigen Vertrauten Wilhelms II. sein würde, der nicht 
den Kopf verlor ? August Eulenburg schloß seinen Brief mit der freundlichen 
Wendung: „Unter Ihnen arbeiten zu dürfen, wäre mir allerdings eine Freude 
und ein Stolz gewesen. Aber auch unter den jetzigen Verhältnissen seien 
Sie überzeugt, daß Sie unter allen Umständen und in allen Wechselfällen 
auf meine Treue und dankbare Ergebenheit rechnen können.‘ Der ausge- 
zeichnete und edle Mann, der in seinem Leben jede Probe bestanden hatte, 
sollte auch diese Zusage einlösen und ist mir bis zu seinem erst 1921 er- 
folgten Tode ein treuer Freund geblieben. 
Da ich die Fähigkeiten des Grafen August Eulenburg weder in London 
noch in St. Petersburg für das Land verwenden konnte, gab ich den drin- 
genden Bitten und Vorstellungen von Holstein nach, der auf das lebhafteste 
die Versetzung des Fürsten Radolin von Petersburg nach Paris wünschte, 
wo Fürst Münster, der inzwischen achtzig Jahre alt geworden war, kaum 
noch zu halten war. Nicht als ob der würdige Fürst-Botschafter etwa selbst 
dieser Ansicht gewesen wäre! Er fand sich noch vollständig auf der Höhe 
und war überzeugt, daß niemand besser als er das Deutsche Reich in Paris 
vertreten könne. Er nahm mir seine Verabschiedung, obschon sie in der 
denkbar schonendsten und für ihn ehrenvollsten Weise erfolgte, sehrübelund 
verhehlte seinen Groll weder mir noch irgend jemand sonst. Richtig ist, 
daß Münster gerade zu den Franzosen gut paßte. Für London war er als 
August 
Eulenburg 
vom Kaiser 
abgelehnt 
Fürst Radolin 
nach Paris
	        
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