Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Philipp 
Eulenburg 
und Holstein 
498 NARRY ARNIMS VERHAFTUNG DURCH BISMARCK 
noch das Hötel de Radziwill —, sagte mir Radowitz: „Bisweilen sagt der 
große Otto doch Dinge, von denen er unmöglich annehmen kann, daß 
irgend jemand sie ernst nehmen soll. Das gilt auch von dem, was er soeben 
über Harry Arnim ankündigte. Er wird sich hüten, gegen Arnim vorzu- 
gehen.“ Am nächsten Mittag wurde der ehemalige Botschafter in Paris 
Graf Harry Arnim auf seinem Gute Nassenheide arretiert. Den Anstoß 
zum Untergang des begabten, aber eitlen und unzuverlässigen Harry Arnim 
hatte Holstein gegeben. Eine der dramatischsten Szenen in „Richard III.“ 
ist der Auftritt, wo Shakespeare diesem bösen englischen König die Geister 
derjenigen erscheinen läßt, die er umgebracht hat: die bleichen Züge des 
Königs Heinrich IV., des armen Clarence, des Lord Hastings, der beiden 
im Tower erwürgten jungen Prinzen tauchen vor ihm auf. Wenn, was ich 
'nicht weiß, Holstein vor seinem Tode eine ähnliche Vision gehabt haben 
sollte, so wird er eine lange Reihe von Gesichtern derjenigen erblickt haben, 
die er, wenn auch nicht körperlich, so doch geschäftlich, dienstlich ums 
Leben gebracht hat. Harry Arnim würde den Reigen eröffnet haben, 
Keudell, Kusserow, Radowitz, Schlözer, Ferdinand Stumm, der Unter- 
staatssekretär und spätere Gesandte Dr. Busch hätten sich angeschlossen, 
die melancholische Figur des seufzenden Philipp Eulenburg wäre zuletzt 
vorbeigezogen. Und auch der gewaltige Fürst hätte nicht im Zuge gefehlt, 
der einst in St. Petersburg den jungen Attache von Holstein freundlich 
aufgenommen hatte und dem dreißig Jahre später der alte Geheimrat von 
Holstein in Berlin den Dolch in den Rücken stieß. 
Als ich Reichskanzler wurde, waren Philipp Eulenburg und Holstein 
die besten Freunde. Gerade damals übersandte Eulenburg seinem Freunde 
Holstein ein Exemplar der Briefe seines Onkels, des Grafen Fritz Eulen- 
burg, der von 1859 bis 1862 als außerordentlicher Gesandter die preußische 
Expedition nach Ostasien geführt hatte, dort Handelsverträge mit Japan, 
China und Siam abschloß und später, von 1862 bis 1878, unter Bismarck 
Minister des Innern war, mit nachstehendem Brief: „Lieber Freund, direkt 
vom Verleger wird Ihnen morgen ein Exemplar der Briefe meines Onkels 
Fritz Eulenburg aus Ostasien zugehen, die ich soeben herausgegeben habe. 
Ich denke mir, daß Ihnen dieselben Spaß machen werden, und es würde 
mich glücklich machen, wenn ich damit erreichen könnte, Ihnen am 
Heiligen Abend eine kleine Zerstreuung zu bereiten. Wirhaben uns unendlich 
lange nicht gesehen und geschrieben. Daß es mir nicht glückte, Ihnen im 
Herbst zu begegnen, hat mir sehr leid getan. Blicke ich am Schluß des 
Jahres, das wie kein anderes vorher durch den Wechsel des Jahrhunderts 
dazu einladet, auf meine Arbeit und alle Kämpfe und Not zurück, die ich 
durchgemacht habe, so taucht immer Ihr Bild beratend, mitkämpfend und 
mitleidend vor mir auf. Ich fühle mich immer zu Ihnen gehörend, und träte
	        
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