ANS STERBELAGER DER QUEEN 503
Family werde nicht recht wissen, was sie mit ihm anfangen solle. Was das
englische Volk betreffe und die englische öffentliche Meinung, so würde
jenseits des Kanals der hochherzige Entschluß des Kaisers voll gewürdigt
werden. Dieser Besuch am Sterbelager würde, ähnlich wie der Besuch des
Kaisers während des Burenkrieges, den Kaiser in England persönlich schr
populär machen. Er, der Herzog, besorge aber, daß umgekehrt diese Reise
in Deutschland die öffentliche Meinung noch mehr gegen England erregen
würde. „Nun scheint mir“, schloß der Herzog seine Ausführungen, „‚daß es
jetzt vor allem darauf ankommt, die deutsche öffentliche Meinung nicht zu
reizen, ihr Zeit zu lassen, sich zu beruhigen, sie nicht vor den Kopf zu
stoßen. Kein verständiger Mensch in England zweifelt daran, daß sowohl
der Kaiser wie Sie, daß die deutsche Regierung und die deutschen Bundes-
fürsten aufrichtig und lebhaft gute Beziehungen zu England wünschen.
Aber so liegen auch in dem noch ziemlich patriarchalischen Deutschland
die Dinge nicht mehr, daß Kaiser und Regierung unbekümmert um die
öffentliche Meinung die ihnen richtig erscheinende Politik durchführen
können. Das habe ich in England manchen Leuten gesagt. Deshalb sage
ich Ihnen, daß der Kaiser diesen Besuch besser unterließe.“*
Während wir uns noch freundschaftlich unterhielten, trat der Kaiser
wieder ein und sagte uns, alle Vorbereitungen für seine Abreise wären
getroffen. Es würde sich nur um eine kurze Abwesenheit handeln, aber
dieser Besuch am Kranken-, vielleicht Sterbebette seiner geliebten Groß-
mutter sei für ihn Herzenssache. Der Herzog, der sah, daß nichts zu machen
war, empfahl sich, um in Berlin noch einige Verwandtenbesuche zu machen.
Beim Weggehen drückte er mir die Hand und zuckte die Achseln. Kaiser
Wilhelm empfand für seine Großmutter in England, „our English Grand-
mamma“, wie alle Kinder der Kaiserin Friedrich sie nannten, nicht nur
einen ihm von Kindheit an eingeprägten, tiefen und unbegrenzten Respekt,
sondern auch wirkliche Liebe. Sie war immer gütig gegen ihn gewesen. Sie
war mit seinen frühesten Erinnerungen verknüpft. Die schönsten Tage
seiner ersten Jugend waren die Besuche bei der englischen Großmutter
gewesen, der Aufenthalt in dem überwältigend großartigen Windsor, in
Osborne mit dem Blick auf die See und die vorüberziehenden mächtigen
englischen Kriegsschiffe, die Ausflüge nach der Weltstadt London. Aber
obwohl Wilhelm II. kaum für irgendeinen anderen Menschen eine so gleich-
mäßig aus Achtung und Zärtlichkeit hervorgehende Empfindung gehegt
hat wie für die Königin Victoria, eilte er an ihr Sterbelager mit der stür-
mischen Ungeduld eines jungen Mannes, der seine erste größere Auslands-
reise antritt. Kaiser Wilhelm konnte, namentlich während der ersten Hälfte
seiner Regierung, schwer das ruhige Gleichmaß der Tage ertragen. Er wollte,
daß immer etwas los sei, er wollte immer neue Eindrücke, neue Bilder. Es