Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

WILHELM II. ZU MITGENOMMEN, UM SIE ZU BESUCHEN 505 
daß der Kaiser den Eindruck gewinnt, dort absolut nötig zu sein. Ich finde, 
Sie müßten ihm vorstellen, wenn er sich jetzt noch etwas ausgeruht hat, 
dann zurückzukehren zur Mutter, die Beisetzung dem Kronprinzen und 
vielleicht Heinrich zu überlassen. Aber wer weiß, ob er es tut. Wenn er 
wirklich durchaus der Beisetzung beiwohnen will, würde es sich wohl kaum 
lohnen oder ihn vielleicht zu sehr ermüden, dazwischen zurückzukommen. 
In einem heute eingetroffenen Brief vom 21. schrieb der Kaiser mir, Eckard- 
stein habe ihm erzählt, ‚als am Abend in London bekannt wurde, daß Ich 
käme, um bei Großmama zu sein, da hätten die Leute vor Freude geweint, 
und oft sei Eckardstein gesagt worden, das wäre ein Akt, den Mir das eng- 
lische Volk nie vergessen werde‘.‘‘ Das mir von der Kaiserin übersandte 
Telegramm war vom 23. Januar. Es bezog sich darauf, daß die Kaiserin 
angefragt hatte, ob der Kaiser nicht zu seiner schwerkranken Mutter 
kommen könnte. Wie die Kaiserin selbst hinzufügte, war dieser Vorschlag 
in der stillen Hoffnung gemacht worden, daß der Kaiser dann die Bei- 
setzung in England aufgeben würde. Der Kaiser hatte erwidert: „Durch 
Reisen, durch Wartetage und -nächte und durch Flut von Telegrammen, 
die unaufhörlich hereinströmen, bin ich so mitgenommen, daß ich für den 
Augenblick außerstande bin, schon wieder eine Tour wie hinunter nach 
Homburg zu machen. Zudem sind die Tanten vollkommen allein hier, und 
ich muß ihnen beistehen in vielen Dingen, wo Rat nötig. Sie sind so lieb 
und gut zu mir, daß ich von Ihnen als Bruder und Freund, nicht als Neffe 
behandelt werde. Sobald etwas Ruhe und weniger Arbeit ist, werde ich 
sehen, ob ich noch vor der Beisetzung kommen kann. Es war eine furcht- 
bar schwere und aufregende Zeit.“ 
Am 26. Januar schrieb mir die Kaiserin weiter aus Homburg: „Am 
Nachmittag besuchte ich meine arme Schwiegermutter, die doch einen 
sehr traurigen Anblick bietet. Sie leidet doch immer noch sehr. Nun kommt 
der große Kummer hinzu, der Wunsch, nach England zu gelangen, was 
meiner Ansicht nach bei ihrem Zustand ausgeschlossen ist. Dies gibt Unruhe 
und Qual. Dazwischen kann sie wieder ganz heiter sein. Was nun die Rück- 
kehr des Kaisers betrifft, so ist ja leider eingetroffen, was ich befürchtete, 
daß er die ganzen vierzehn Tage in England bleibt, noch dazu mit dem 
Kronprinzen und dem Prinzen Heinrich. Als Krone von allem hat der neue 
König den Deutschen Kaiser zum englischen Feldmarschall 
gemacht. Wenn das nicht eine Ironie im jetzigen Moment ist, dann weiß 
ich es nicht. Es soll wohl eine Liebenswürdigkeit sein, ich halte es für eine 
Taktlosigkeit. Natürlich muß der Kaiser ein liebenswürdiges Gesicht 
machen. Ich habe ihm geschrieben, ich hoffte, er (der Kaiser) verlangte 
nicht, daß ich ihm hierzu gratuliere, es solle wohl eine Liebenswürdigkeit 
sein, vielleicht hätte man verschiedene Auffassung für die Sache. Ich
	        
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