RICHTHOFEN FÜR KRIEGSAUSSCHLUSS-VERTRAG 5ıl
Neutralität uns gesichert ist, die deutsche Flotte allmählich selbst stark
genug sein und werden wird, den Schutz des überseeischen deutschen
Handels zu übernehmen, zumal eventuell gemeinsam mit Italien und Öster-
reich gegen Frankreich und Rußland. Für uns von hochbedeutendem Inter-
esse ist es daher meines Erachtens nur, uns, wenn irgend tunlich, den
zu 1 bezeichneten Hauptvorteil zu sichern. Von unserem Standpunkt aus
benötigte es hierzu keiner Allianz, sondern ausreichend wäre ein sozusagen
Pactum de non inter se bellum gerendo. Ein solcher Kriegsausschlußvertrag
würde naturgemäß gleichzeitig ein Verfahren zur Regelung aller etwaigen
Streitfälle in sich zu schließen haben, das wohl nur auf einer Art schieds-
gerichtlicher Basis denkbar ist. Ein solcher Vertrag würde, glaube ich, ohne
weiteres, selbst wenn auch zunächst nur für etwa zehn Jahre abgeschlossen,
die Billigung unseres Reichstags und des deutschen Volkes finden, und, da
den allgemeinen humanitären Gedanken der Zeit entgegenkommend, wohl
auch diejenige des britischen Parlaments. Er würde jede Spitze gegen dritte
Regierungen ausschließen, da die Anerkennung des territorialen Status
quo, der Abschluß eines gleichen Vertrages vom Dreibund dem Zweibund
auch angeboten werden könnte. Ob die englische Regierung einem solchen
Paktum zustimmen würde, steht dahin. Es bietet ihr viel weniger als eine
deutsch-englische Allianz, aber immerhin die Sicherheit, nicht mit der
Möglichkeit einer gegnerischen Koalition Rußland-Deutschland-Frank-
reich rechnen zu müssen. Über ein solches Paktum hinauszugchen, in ein
Allianzverhältnis einzutreten, halte ich nach wie vor für sehr bedenklich.
Um in England einige Gewähr für Halten des Vertrages zu haben, würde
die parlamentarische Sanktion unbedingt geboten sein; geschieht solche in
London, werden wir unser Parlament nicht ausschalten können. Die Zu-
stimmung des Reichstags aber zu einem Vertrage, welcher auch nur die
kleinste Möglichkeit offenläßt, daß wir in die Situation kommen könnten,
uns für nicht-deutsche englische Interessen, also z. B. für Indien, zuschlagen,
würde, insbesondere in gegenwärtiger burophiler Zeit, nicht zu erlangen sein.
Für österreichische oder italienische Interessen einzutreten, würde man,
an den Dreibund gewöhnt, äußerstenfalls bereit sein, für englische, die sich
nicht voll mit den unsrigen decken, aber auf lange Zeit hinaus nicht. Der
Abschluß eines dem Dreibund-Vertrage ähnelnden Defensiv-Abkommens
mit England würde einem geschickten und skrupellosen englischen Staats-
mann eine mächtige, für uns aber sehr gefährliche Waffe in die Hand geben.
Einen Angriffskrieg Rußlands und Frankreichs gegen England provozierend,
würde er einerseits die Flotten der beiden Angriffsstaaten abrasieren,
andererseits auf dem Kontinent die drei Rivalen Englands: Rußland,
Deutschland und Frankreich, in gewaltigem Kampfe sich verbluten lassen
können, um schließlich als der in Europa einzig Gebietende dazustehen.