Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

30 ZWEI EISEN IM FEUER 
  
bei den Handelsvertragsverhandlungen uns Rudini jetzt den Stuhl vor die 
Türe setzte? Wenn Österreich nicht gewisse, Luzzati für seine Wähler 
dringend wünschenswerte ‚Leinwandzölle‘* konzedierte, ginge er, Rudini, 
und damit würde die Triple-Allianz auch fliegen. Sie können sich gar nicht 
vorstellen, welche Panik dies im Berliner Auswärtigen Amt hervorrief. Ich 
war die kritischen Tage gerade in Wien, die Depeschen flogen nur so, und 
es endete der Scherz natürlich mit unserer Annahme der italienischen For- 
derungen. Der Bismarcksche Witz mit den beiden Eisen im Feuer hatte 
doch sein Gutes. Logisch müssen wir jetzt bei der Triple-Allianz in allem 
den kürzeren ziehen. Wir haben zwei deklarierte Todfeinde, Österreich nur 
einen. Italiens Position ist die günstigste, da die Feindschaft mit Frankreich 
im Grunde zu überbrücken wäre und schlimmstenfalls das für Österreich 
und Deutschland durchaus nicht hilfsbereite England Italien gegen jede 
Invasion deckt. Abgesehen hiervon ist Italien für Rußland unerreichbar, 
die kurze Alpengrenze gegen Frankreich leicht zu verteidigen. Ein wahrer 
Trost muß bei dieser Sachlage dem Patrioten die innere Lage des Reiches 
sein. Regis voluntas suprema lex! Wo soll das hinaus? In der heutigen 
Zeit so etwas, noch dazu in das Stammbuch der Stadt München, einzu- 
tragen! Sehr traurig berührt auch Stablewskis Ernennung zum Erzbischof 
von Gnesen-Posen. Die Polen sind nicht zu versöhnen, im Kriege gegen 
Rußland stehen sie sowieso auf unserer Seite, wozu also eine so gefährliche 
Konzession machen? In Posen und Westpreußen geht leider das deutsche 
Element stetig zurück. Die Germanisierung dieses Landes ist aber für uns 
eine Existenzfrage bei der Lage Berlins und bei der eventuellen späteren 
Notwendigkeit, das Land bis zur Weichsel zu annektieren. Denn trotz allem 
darf man nicht, wie Sie immer so richtig sagen, an der Zukunft der Nation 
verzweifeln. Mit einer Zertrümmerung Deutschlands wäre die europäische 
Zivilisation verloren, ein vereinigtes Slawenreich ginge bis zur Oder, gegen 
das das restierende Deutschland und Frankreich gar nicht in Betracht 
kämen. Ob sich Serenissimus wohl ein einigermaßen klares Bild von der 
Gefahr seiner Lage macht? Dazu glaubt er wohl noch immer, der Zar 
halte etwas von ihm. Und gerade dieser Zar, dieser unser einziger Friedens- 
garant, haßt unsern Herrn, wie ich aus bester Quelle höre, weil dieser nicht 
die Wahrheit liebe. Sed haec hactenus. Legen Sie mich Ihrer liebens- 
würdigen Frau Gemahlin zu Füßen und seien Sie nicht ein zu harter 
Richter über den Salat in Briefform Ihres Sie herzlich grüßenden Monts.“ 
Am 6. April 1894 schrieb Monts, der dem Kleeblatt Holstein, Kiderlen, 
Phili Eulenburg eifrig den Hof machte, über die damals vom Kladdera- 
datsch gegen Austernfreund (Holstein), Spätzle (Kiderlen) und Trouba- 
dour (Phili Eulenburg) eingeleitete Kampagne: „Die Kladderadatsch- 
Sache nimmt meines bescheidenen Dafürhaltens eine immer peinlichere
	        
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