Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

512 GESPENST EINES RUSSISCH-ENGLISCHEN BUNDES 
Jede Allianz mit England setzt uns der Gefahr aus, unsererseits einen kon- 
tinentalen Landkrieg wesentlich allein, und obne absolute Notwendigkeit 
dazu, ausfechten zu müssen. Mir erscheint eine solche deshalb ausgeschlos- 
sen. Ein Paktum der eingangs erwähnten Art halte ich von unserem Stand- 
punkt aus für möglich und nützlich. Ist ein solches nicht erreichbar, oder 
auch neben einem solchen, könnten Abkommen und Einzelfragen terri- 
torialer Natur zum Abschluß gelangen, wenn auch das letzte deutsch- 
englische Abkommen bierzu nicht anreizt, dessen Wert für England durch 
die tatsächliche Ausnutzung von Lourenco Marques als britische Station 
beseitigt und dessen Fortbestand durch die Neuproklamierung der por- 
tugiesischen Allianz für die Wirklichkeit in Frage gestellt ist. Nur als auf 
eine Nebenerscheinung möchte ich noch darauf hinweisen, daß jedes 
Paktum, welches eine englische Kriegsgefahr für uns mindert, in unserem 
Reichstag auf eine Neigung zu weiter gehenden Flottenbewilligungen 
abschwächend einwirken wird. Ich glaube, daß bei einiger Vorsicht und 
namentlich ruhiger Behandlung von hier aus die doch nur vorübergehende 
chinesische Phase zum Abschluß gebracht werden kann, ohne eine irgend- 
wie dauernde russische Verstimmung gegen Deutschland zurückzulassen.“ 
Am 5. Februar schrieb mir Richthofen: ‚Meines Erachtens liegt in den 
Vorgängen der letzten Zeit keinerlei Grund vor, um uns von dem bisher 
festgehaltenen Satz, England uns kommen zu lassen und nicht unsererseits 
England zu kommen, abweichen zu lassen. Weder der Thronwechsel in 
England noch die liebenswürdige Ausdehnung des Kaiserlichen Besuchs 
dort noch der englische Ansturm auf uns in der Tientsin-Settlement-Frage, 
welcher doch nur darauf ausging, uns in die erste Linie gegen Rußland zu 
schieben, und, sobald die Erfolglosigkeit bemerkt wurde, sofort abgestoppt 
worden ist, dürften einen solchen ausreichenden Grund darbieten. England 
gegenüber läuft aller Wahrscheinlichkeit nach die Situation für uns. Je 
mehr es in Südafrika engagiert wird, und es sieht so aus, als würde dies der 
Fall sein, desto mehr wird es in Europa und Asien lahmgelegt und bedarf es 
des Wohlwollens anderer Mächte, d.h. von Amerika abgesehen, insbeson- 
dere Rußlands, Frankreichs und Deutschlands. Das Gespenst einer russisch- 
englischen Allianz erscheint mir auch nach den mehrfachen Unterhaltungen, 
die ich hierüber mit Geheimrat von Holstein gepflogen, durchaus lediglich 
als ein solches. England würde durch Arrangements mit Rußland stets 
sicher verlieren, nur kurze Waffenstillstandssich erlangen und sich 
immer wieder Rußlands Unersättlichkeit gegenüber sehen. Was kann Eng- 
land z.Z. Rußland bieten? Die Mandschurei? Die hat Rußland schon, 
ohne England zu fragen, genommen. Korea? England würde sich dadurch 
ja Japan für immer verfeinden. Gewährt England Vorteile an Rußland in 
Persien oder nach Indien zu, so würden es entweder nur solche sein können,
	        
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