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wenigstens im Status quo erhalten wird. Wir verlangen andererseits nichts
von englischem Besitz, sondern nur, daß wir in Ruhe gelassen werden und
daß wir, wenn England aus einer fremden Schüssel eines Schwachen speisen
will, es uns mitspeisen läßt. England kann hierfür eine Gegenleistung nicht
mehr verlangen, als daß wir es unsererseits auch in Ruhe und Frieden lassen
und seinen politischen Interessen nicht entgegentreten. Ein Arrangement in
dieser Richtung kann uns nur erwünscht sein. Darüber hinaus aber ein
Schutz- und Trutzbündnis oder unter gewissen Voraussetzungen eine
Allianz, die man Defensiv-Allianz nennen kann, die aber de facto von einem
der Paziszenten leicht zu einer Offensiv-Allianz gemacht werden kann,
einzugehen, würde m. E. für uns sehr bedenklich sein, da die Spitze einer
solchen Allianz, man mag sie einkleiden, wie man will, immer gegen Ruß-
land gerichtet sein und im Konflikt mit Rußland immer wesentlich unsere
Schultern und nicht die englischen herzuhalten haben würden. Mit der
Seemacht ist Rußland, zumal bei jetzigen Verhältnissen Blockaden nicht
mehr so schwer wiegen, vielleicht von Dritten (Amerika?) gar nicht mal
immer würden anerkannt werden, nur wenig beizukommen. Bleiben wir
mit Frankreich auf dem jetzigen Fuße, können wir uns davor sichern, daß
England in die uns gegnerische Reihe tritt, und behandeln wir Rußland
einerseits freundlich, andererseits aber fest und nicht nachgiebig oder gar
nachlaufend, so sind wir, glaube ich, am besten gebettet. In letzterer Be-
ziehung hapert es m. E. am meisten. Es muß in Petersburg sowohl wie hier
(Osten-Sacken) klargemacht und zum Bewußtsein gebracht werden, daß
der Schwerpunkt unserer Politik bei uns in der Hand, und zwar in der
sicheren, ruhigen, gleichbleibenden Hand des Reichskanzlers, liegt. Eine
englisch-fi deutsche Gruppierung kontra Rußland und Amerika
widerspricht m. E. unseren Interessen, da wir allen Grund haben, ohne
zwingende Notwendigkeit nicht in Gegensatz zu den beiden letzteren
Staaten zu treten und diese zu einer für ganz Mittel- und Westeuropa höchst
gefährlichen Koalition zu treiben. Andererseits würde eine solche Grup-
pierung unzuverlässig sein, da Frankreich aus solcher, sobald es anderweitig
eine Gelegenheit zum Aufrollen der elsaß-lothringischen Frage erschauen
sollte, ohne weiteres und schleunigst echappieren würde.“ Die Bemerkung
des Staatssekretärs, es möge den Russen klargemacht werden, daß der
Schwerpunkt der deutschen Politik in der Hand des Reichskanzlers liege,
bezog sich natürlich auf den Kaiser, der leider auch Rußland gegenüber
dazu neigte, zwischen naiver Aufdringlichkeit und abrupter Unart hin und
her zu schwanken.
Bevor ich zum Kaiser nach Homburg reiste, gab ich sowohl Richthofen
wie Holstein gegenüber dem Wunsch Ausdruck, daß der Schwerpunkt der
weiteren deutsch-englischen Besprechungen aus der Hand des nicht