Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

514 AM BESTEN GEBETTET 
wenigstens im Status quo erhalten wird. Wir verlangen andererseits nichts 
von englischem Besitz, sondern nur, daß wir in Ruhe gelassen werden und 
daß wir, wenn England aus einer fremden Schüssel eines Schwachen speisen 
will, es uns mitspeisen läßt. England kann hierfür eine Gegenleistung nicht 
mehr verlangen, als daß wir es unsererseits auch in Ruhe und Frieden lassen 
und seinen politischen Interessen nicht entgegentreten. Ein Arrangement in 
dieser Richtung kann uns nur erwünscht sein. Darüber hinaus aber ein 
Schutz- und Trutzbündnis oder unter gewissen Voraussetzungen eine 
Allianz, die man Defensiv-Allianz nennen kann, die aber de facto von einem 
der Paziszenten leicht zu einer Offensiv-Allianz gemacht werden kann, 
einzugehen, würde m. E. für uns sehr bedenklich sein, da die Spitze einer 
solchen Allianz, man mag sie einkleiden, wie man will, immer gegen Ruß- 
land gerichtet sein und im Konflikt mit Rußland immer wesentlich unsere 
Schultern und nicht die englischen herzuhalten haben würden. Mit der 
Seemacht ist Rußland, zumal bei jetzigen Verhältnissen Blockaden nicht 
mehr so schwer wiegen, vielleicht von Dritten (Amerika?) gar nicht mal 
immer würden anerkannt werden, nur wenig beizukommen. Bleiben wir 
mit Frankreich auf dem jetzigen Fuße, können wir uns davor sichern, daß 
England in die uns gegnerische Reihe tritt, und behandeln wir Rußland 
einerseits freundlich, andererseits aber fest und nicht nachgiebig oder gar 
nachlaufend, so sind wir, glaube ich, am besten gebettet. In letzterer Be- 
ziehung hapert es m. E. am meisten. Es muß in Petersburg sowohl wie hier 
(Osten-Sacken) klargemacht und zum Bewußtsein gebracht werden, daß 
der Schwerpunkt unserer Politik bei uns in der Hand, und zwar in der 
sicheren, ruhigen, gleichbleibenden Hand des Reichskanzlers, liegt. Eine 
englisch-fi deutsche Gruppierung kontra Rußland und Amerika 
widerspricht m. E. unseren Interessen, da wir allen Grund haben, ohne 
zwingende Notwendigkeit nicht in Gegensatz zu den beiden letzteren 
Staaten zu treten und diese zu einer für ganz Mittel- und Westeuropa höchst 
gefährlichen Koalition zu treiben. Andererseits würde eine solche Grup- 
pierung unzuverlässig sein, da Frankreich aus solcher, sobald es anderweitig 
eine Gelegenheit zum Aufrollen der elsaß-lothringischen Frage erschauen 
sollte, ohne weiteres und schleunigst echappieren würde.“ Die Bemerkung 
des Staatssekretärs, es möge den Russen klargemacht werden, daß der 
Schwerpunkt der deutschen Politik in der Hand des Reichskanzlers liege, 
bezog sich natürlich auf den Kaiser, der leider auch Rußland gegenüber 
dazu neigte, zwischen naiver Aufdringlichkeit und abrupter Unart hin und 
her zu schwanken. 
Bevor ich zum Kaiser nach Homburg reiste, gab ich sowohl Richthofen 
wie Holstein gegenüber dem Wunsch Ausdruck, daß der Schwerpunkt der 
weiteren deutsch-englischen Besprechungen aus der Hand des nicht
	        
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