DIE AUFLEHNUNG BERLINS 519
hänglichkeit für die Bremer Bürgerschaft in keiner Weise darunter leiden
würde. Seine Haltung war über jedes Lob erhaben, wahrhaft königlich.
Etwa vierzchn Tage später empfing der Kaiser, inzwischen ganz wieder-
hergestellt, das Präsidium des Abgeordnetenhauses. Der Erste Präsident
der damaligen preußischen Volksvertretung, Jordan von Kröcher, besaß
alle Fehler, die, oft mit Unrecht, den Junkern nachgesagt werden, aber
nicht die großen Eigenschaften, die sie tatsächlich besitzen. Er war derb,
aber ohne echten Humor, bauernschlau, aber ohne tiefere Einsicht, emsig
bedacht auf Interesse und Wohl seiner Partei und seines Standes, aber ohne
die nötige Rücksicht für das Staatsinteresse. Er hat durch seine hochmütige
und schnoddrige Behandlung der wenigen Sozialisten, denen es nach und
nach gelungen war, trotz des damals sehr beschränkten preußischen Wahl-
rechts in die Zweite Kammer einzudringen, die Arbeiter gereizt, ohne auf
sie Eindruck zu machen. Herr von Kröcher benutzte seinen Empfang durch
den Kaiser, um eine Parallele zwischen den Attentaten auf Kaiser Wil-
helm I. im Jahre 1878 und dem Vorfall in Bremen zu ziehen, obwohl in
zwischen festgestellt worden war, daß der Bremer Attentäter ein epilep-
tischer, halb oder ganz blödsinniger Mensch war. Die Schlußfolgerung aus
der Kröcherschen Parallele war natürlich, daß es geboten sei, ebenso wie
dreiundzwanzig Jahre früher,mit A l tzen gegen die sozialistische
Bewegung vorzugehen. Das führte zunächst zu einer unerquicklichen De-
batte im Abgeordnetenhaus zwischen Eugen Richter und dem Präsidenten
von Kröcher, wirkte aber, was schlimmer war, aufreizend und erregend auf
den so leicht zu beeinflussenden Kaiser, der am 28. März bei der Einweihung
der neuen Kaserne des Kaiser-Al der-Regiments wieder eine recht
exzentrische Rede hielt. Das 1. Garde-G dier-Regiment Kaiser Alex-
ander von Rußland blickte auf eine stolze Vergangenheit zurück. Es hatte
im März 1848 gegenüber der damaligen aufständischen Bewegung in vollem
Maße seine Schuldigkeit getan, es hatte sich 1870 in der Schlacht von
Saint-Privat bei dem Sturm auf Sainte-Marie-aux-Chönes besonders aus-
gezeichnet. Seine Fahne war die älteste Fahne der Armee. Sie hatte am
Tage von Saint-Privat der jüngste Offizier des Regiments, Leutnant von
Dewitz, getragen, aus altem pommerschem Geschlecht. Er fiel, die Fahne
über sich. An diese heroische Vergangenheit zu erinnern, war des Kaisers
gutes Recht, es war sogar seine Pflicht. Er fügte aber hinzu, daß, wenn sich
Berlin je wieder in frecher Auflehnung gegen den König erheben sollte, das
Alexander-Regiment solche Unbotmäßigkeit und Unverschämtbheit nach-
drücklichst in die Schranken zurückweisen werde. Er schloß mit der Er-
klärung: Es lebe ihm ein gewaltiger Verbündeter, der alte, gute Gott im
Himmel, der schon seit den Zeiten des Großen Kurfürsten und des Großen
Königs stets auf unserer Seite gewesen wäre. Der Eindruck dieser Rede im
Rede
des Kaisers
in der
Alexander-
Kaserne