DEM VATER DES VATERLANDES 327
geehrt. Wir aber wollen uns auch so hoher Ehre würdig erweisen, wie es
dem Preußen geziemt. Unter Seinem Schutz arbeiten wir, Ihm ist auch die
Wissenschaft vertraut. Wir wollen und werden unsere Pflicht tun. Gott
schütze den König!“ In einer in der Aula der Universität am 27. Januar
1907 gehaltenen Kaisers-Geburtstags-Rede hieß es: „In dem Herzen eines
jeden Deutschen lebt ein festes Kaiserbild als Niederschlag und Frucht
unserer ganzen Geschichte. Unserem Kaiser, der mit Mut und Kraft in die
Zukunft schaut, geloben wir stete Treue. Ehrfurchtsvoll fassen wir unsere
Wünsche zusammen in dem Ruf: Gott schütze, Gott erhalte uns unseren
Kaiser!“ An dieser Tonart hielt Professor von Harnack bis zum 9. November
1918 unentwegt fest. Seine fünf Jahre nach meinem Rücktritt bei der Ein-
weihung der Königlichen Bibliothek am Geburtstag unseres alten Kaisers,
am 22. März 1914, an Wilhelm II. gehaltene Ansprache konnte ich leider
nicht mehr anhören, las aber in den Zeitungen, daß Professor Harnack dem
Kaiser zugejauchzt hatte: „Mögen wir uns im Politischen wie in der Er-
kenntnis alle zu immer festerer und immer tieferer Einheit zusammenfassen,
geschart um Eure Majestät, Allerhöchstder ich in Ehrfurcht huldige als
unserem Herrn, als dem hochherzigen Kenner der Wissenschaften, als dem
geliebten Vater des Vaterlandes!“ Und es kam der Weltkrieg, und solange
das Glück den Fahnen des Kaisers treu blieb, blieb ihm auch Professor
Harnack treu, mit unbegrenztem Enthusiasmus. Am 29. September 1915
feierte er in öffentlicher Rede unser „herrliches Heer und seinen großen
Heerführer, unseren teuren Kaiser“. Noch am 1. August 1916 forderte er
alle Deutschen auf, „sich in unauslöschlicher Dankbarkeit, in Ehrfurcht
und Treue zu scharen um den obersten Kriegsherrn, um unseren teueren
Kaiser Wilhelm II.“ Ich werde leider im weiteren Verlauf meiner Erinne-
rungen nicht verschweigen dürfen, daß Adolf von Harnack, der noch im
Oktober 1918 schriftlich und öffentlich seine unerschütterliche Treue zu
Kaiser Wilhelm II. und dem Hause der Hol llern in fl den Worten
proklamiert hatte, kaum vierzehn Tage später im November umfiel und
sich aus einem feurigen Monarchisten in einen ebenso hitzigen Republikaner
verwandelte. Einer von jenen, die, um mit Robert Prutz zu reden, jederzeit
bereit sind, das Hemd zu wechseln und die Haut, wenn nötig. Kaiser Wil-
helm II. hat oft geirrt, er ist oft, nur zu oft, falsche Wege gegangen. Aber
wenn er viel gesündigt hat, so ist von Speichelleckern, Weihrauchstreuern
und Kriechern auch viel an ihm gesündigt worden.
Ich war von der innerlichen Einstellung des Kaisers zum Fürsten Bis-
marck ausgegangen, die in der Tat kompliziert war, gemischt aus Übermut
und Furcht, schlechtem Gewissen und Ranküne, Eifersucht und Trotz.
Während seiner ganzen Regierungszeit stand Bismarcks Riesenbild Wil-
helm II. vor Augen. Er hätte ihn am liebsten totgeschwiegen. Er wollte,