530 HERBERT BISMARCK VERSTIMMT
schloß: „Daß China Ihren Urlaub verdorben hat, ist beklagenswert. Es
kann aber noch manches Beklagenswerte für uns eintreten, wenn Ihre
Bremsvorrichtungen einmal unwirksam werden sollten! In alter Treue
Ihr Bismarck.“ Herbert wußte, daß ich seinem Vater immer die Treue
gehalten hatte. Er hatte lebhaft meine Ernennung zum Staatssekretär,
noch lebhafter meinen Aufstieg zum Reichskanzler gewünscht. Seit langen
Jahren verband uns treue Freundschaft. Jetzt erwiderte er dem Kaiser mit
verkniflenem Gesicht: „Ich finde, daß namentlich Levetzow gut gesprochen
hat.‘ Herr Albert von Levetzow auf Gussow in der Neumark, gewesener
Landesdirektor der Provinz Brandenburg, Mitglied des Herrenhauses und
des Staatsrats, war seit dem Sturz des Fürsten Bismarck in Friedrichsruh
unbeliebt, fast verhaßt gewesen, weil er 1890 als Präsident des Reichstags
nicht den Mut gefunden hatte, der Verdienste des ersten Reichskanzlers
nach dessen Verabschiedung mit einigen Worten im Reichstag zu gedenken.
Bei der Denkmalsenthüllung am 16. Juni 1901 hatte er vor meiner Rede
eine banale, farblose Ansprache gehalten, in der nur von Seiner Majestät
und den Hohenzollern die Rede war. Als Herbert Bismarck ihn im Gegensatz
zu mir herausstrich, warf mir der Kaiser einen langen Blick zu, in dem vieles
lag. Dann lud er mich zum Frühstück im Schlosse ein, zu dem er auch den
Feldmarschall Lo& befohlen hatte und wo er mir in dessen Gegenwart noch
einmal seine Befriedigung aussprach. Der Großherzog Friedrich von Baden,
der mit Bismarck manche, bisweilen gereizte und selbst heftige Ausein-
andersetzung gehabt hatte, bei denen der große Bismarck nicht immer im
Recht gewesen war, dankte mir in einem herzlichen Telegramm für meine
„wunderschöne“ Rede, die ein wertvolles Geschenk für die Nation wäre,
für deren Denken und Empfinden sie leitend und fördernd wirken möge.
Ich zeige, daß Wollen Können erfordere. Dagegen hielt Herbert Bismarck
einige Tage später in einer konservativen Versammlung in Stendal, der
Wiege des Bismarckschen Geschlechts, eine Rede, in der er sehr gereizt,
sehr bissig sich gegen mich wandte, weil ich vor dem Denkmal seines un-
sterblichen Vaters erklärt hatte: Wir stünden in jeder Hinsicht auf dessen
Schultern, aber nicht in dem Sinne, als ob es vaterländische Pflicht wäre,
alles zu billigen, was Bismarck gesagt und getan hätte, denn nur Toren und
Fanatiker würden behaupten wollen, daß Fürst Bismarck niemals geirrt
hätte. Wir huldigten Bismarck auch nicht in dem Sinn, als ob er Maximen
aufgestellt hätte, die nun unter allen Umständen, in jedem Falle und in
jeder Lage blindlings anzuwenden wären. Starre Dogmen gäbe es weder
im politischen noch im wirtschaftlichen Leben, und gerade Fürst Bismarck
habe nicht viel von der Doktrin gehalten. So sind die Schüler oft unduld-
samer als der Meister. Richard Wagner sagte einmal zu meiner Frau:
„Meyerbeer hat einige sehr schöne Sachen komponiert. Das dürfen Sie