DIE ZOLLPOLITIK 531
aber nicht den Wagnerianern sagen, die würden Ihnen die Augen aus-
kratzen.“
Einige Wochen vor meiner Bismarckrede hatte ich einer geheimen Be-
ratung der höheren Beamten der zuständigen Reichsressorts und der
größeren Bundesstaaten über unsere Zollpolitik präsidiert, an der von
preußischer Seite Posadowsky, Wermuth, Thielmann, Richthofen, Mühl-
berg, Körner, Rheinbaben, Podbielski, Kapp, Möller, von den bundes-
staatlichen Ministern Riedel, Feilitzsch, Metzsch, Rüger, Buchenberger,
Rothe teilnahmen. Bevor die Diskussion begann, einigte ich mich mit dem
bayrischen Finanzminister Riedel in einem nicht allzu langen Gespräch,
das wir unter vier Augen in einer Fensternische des Bundesraatssaales
führten, endgültig über nachstehende Leitsätze: 1. Der Zolltarif müsse eine
Gestaltung bekommen, die das Zustandekommen von Handelsverträgen
nicht ausschlösse. 2. Doppelsätze sollten für möglichst wenige Waren-
gattungen aufgenommen werden. 3. Die Zollsätze für Brotgetreide könnten
auf etwa fünf bis sechs Mark erhöht werden, ohne daß die Volksernährung
dadurch gefährdet würde. 4. Eine Differenzierung des Weizen- und Roggen-
zolls wäre wünschenswert, um mit Rußland zu einem Handelsvertrag zu
kommen und dadurch die Mauer zu durchbrechen, die sich sonst um uns
schließen könnte. 5. Der Gerstenzoll dürfe nicht so hoch bemessen werden,
daß er zu einer erheblichen Erhöhung der Bierpreise führe. 6. Die Vieh-
und Fleischzölle dürften unter gar keinen Umständen so hoch gegriffen
werden, daß die Ernährung der Arbeiterbevölkerung in den großen Städten
verteuert würde. Hier wären hohe Zollsätze besonders bedenklich und ge-
fährlich. Auf dieser Grundlage erfolgte die Ausarbeitung des Zolltarifs, der
im Dezember desselben Jahres eingebracht werden sollte. Ich war mir
von Anfang an darüber klar gewesen, daß, wenn einerseits der Landwirt-
schaft der notwendige Schutz gewährt, andererseits aber auch die Möglich-
keit nicht verbaut werden sollte, zu neuen Handelsverträgen zu gelangen,
der künftige Zolltarif aus einer Verständigung zwischen Zentrum, National-
liberalen und Konservativen hervorgehen mußte. Das Rückgrat einer
solchen Koalition konnte nur das Zentrum bilden, das nach seiner ganzen
Struktur einen Mikrokosmos der deutschen wirtschaftlichen Verhältnisse
darstellte. In seinen Reihen fanden sich Landwirte, Industrielle und Ge-
werkschaftssekretäre vereinigt. Es wurde durch seine Natur auf die Politik
der Diagonale hingewiesen, die ich selbst verfolgte und die dem Interesse
des Landes entsprach.
Daß ich während der langen und erbitterten Kämpfe um den Zolltarif
bei der Zentrumspartei einen nie versagenden Rückhalt fand, war auch der
Umsicht und Klugheit zu verdanken, mit der die Fraktion von dem Ab-
geordneten Spahn geführt wurde. Peter Spahn warnicht das, was man einen
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Beratungen
über den
Zolltarif
Die Haltung
der Parteien