DIE PRINCESS ROYAL 535
daß er mit Rücksicht auf die Empfindungen des deutschen Volkes und auf
die Würde unseres Volkes diese Wünsche seiner Mutter nicht erfüllen dürfe.
Sie wurde einige Tage später in der Friedenskirche in Potsdam beigesetzt.
Ich kenne kaum ein tragischeres Schicksal als das der Kaiserin Friedrich.
Aufgewachsen als Princess Royal of Great-Britain and Ireland, als älteste
Tochter der Königin Victoria, in allem Glanz des englischen Hofes, um-
geben nicht nur von der Zärtlichkeit ihrer Eltern und Geschwister, sondern
auch von der ungeheuren Volkstümlichkeit des englischen Königtums,
hatte sie die glücklichste Jugend genossen. Sie war die Lieblingstochter
ihres Vaters, des Prince-Consort Albert, der ihr seine Anschauungen über
Welt und Politik von früh auf eingeprägt hatte. Es waren die Anschauungen
des gemäßigten Liberalismus der fünfziger Jahre, aber natürlich mit starkem
englischem Einschlag. Obwohl Prinz Albert von Koburg in England im
Grunde nicht beliebt war, fühlte er sich mit der Assimilationsfähigkeit des
Deutschen doch als Engländer und als solcher erhaben über seine deutschen
Verwandten und Landsleute. Er schärfte seiner ältesten Tochter, als sie
nach ihrer Vermäblung die Reise nach Deutschland antrat, vor allem ein,
sie möge nie vergessen, daß sie die älteste Tochter der Königin von England
und Princess Royal von Großbritannien wäre. Erst in zweiter Linie durfte
sie daran denken, daß sie auch Kronprinzessin von Preußen geworden war.
Es ist möglich, daß, wenn Prinz Albert länger gelebt hätte, er seine An-
schauungen insbesondere über preußische und deutsche Verhältnisse revi-
diert hätte. So aber blieb die Tochter nach dem schon 1861, kaum drei
Jahre nach ihrer Vermählung erfolgten Tode ihres von ihr angebeteten
Vaters auf dem Standpunkt stehen, den dieser ihr eingeprägt hatte. In
Berlin und noch mehr in Potsdam fand sie alles ärmlich und kleinlich, ver-
glichen mit Windsor und Osborne. Es gab in den preußischen Palais damals
kaum Badezimmer. König Wilhelm I. wurde zweimal in der Woche sein
Bad in einer mit einem weißen Laken bedeckten Wanne aus dem Hötel de
Rome in sein Palais gebracht. Als die junge englische Prinzessin beim
Breakfast nach einem Eierbecher verlangte, erwiderte der Lakai mit ver-
legenem Lächeln, die „Herrschaften“ hätten die Gewohnheit, die Eier in
ein Kognakgläschen zu stecken. Und gar die W. C. ließen alles zu wünschen
übrig. Selbstbewußt und eigensinnig, wie sie von Natur war, wußte die
damalige Prinzeß Friedrich Wilhelm von Preußen sich nicht mit ihren
Schwiegereltern zu stellen. Um so besser gelang es ihr bald, starken Einfluß
aufihren edlen, herzensguten, tapferen und dabei milden Mann zu gewinnen.
Der spätere Botschafter von Schweinitz, damals Adjutant des Prinzen
Friedrich Wilhelm, der dessen Hochzeit beigewohnt hatte, erzählte mir,
die Prinzessin habe bei der Abreise von Windsor, nachdem die Abschieds-
küsse mit der zurückbleibenden englischen Familie ausgetauscht worden