GRAF SECKENDORFF 537
der Feldmarschall und Reichsgraf Friedrich Heinrich von Seckendorff, der
als österreichischer Gesandter in Berlin Friedrich Wilhelm I. so zu kapti-
vieren wußte, daß dieser ihm den berüchtigten Vertrag vom 23. Dezember
1728 gewährte, der Preußen in eine Abhängigkeit von Österreich brachte,
wie sie erst fast zweihundert Jahre später wieder erreicht werden sollte, als
Bethmann Hollweg 1914 Preußen und Deutschland an das Narrenschiff
der Wiener Diplomaten fesselte. Der Kammerherr Graf Götz von Secken-
dorff war Hofmann, aber nicht in dem Sinne, wie uns Baltasar Gracian,
der Rektor des Jesuitenkollegiums zu Tarragona, in seinem „El discreto“
und in seinen von unserem Schopenhauer übersetzten „Oraculo manual“,
wie uns Labruy£re in seinen „Caracteres‘ den vollendeten Hof- und Welt-
mann gezeichnet haben. Das Höfische in Seckendorff zeigte sich in der Art
und Weise, wie er alle Verhältnisse und Vorgänge nur vom Standpunkt der
Höfe und der Allerhöchsten Familienbeziehungen einschätzte. Obwohl er
aus dem 1. Garderegiment hervorgegangen war, fehlte ihm festes preußi-
sches und deutsches Nationalgefühl. Maßgebend für ihn waren die Stim-
mungen und Wünsche des englischen Hofes, auf die er sich einstellte wie
die Magnetnadel im Kompaß auf den Meridian. Das Ziel seiner Wünsche
war, deutscher Botschafter in London zu werden, eine Aufgabe, der er in
keiner Weise gewachsen war. Als ich ihm diesen Wunsch nicht erfüllen
konnte und durfte, erkaltete seine früher warme Freundschaft und, wie er
sich auszudrücken die Güte hatte, seine Bewunderung für mich merklich.
Er ist vor dem Beginn des Weltkrieges gestorben, ohne sein Ziel, die Lon-
doner Botschaft, erreicht zu haben. Daß ein Mann, der so viele Jahre der
Umgebung der Kaiserin Friedrich angehörte, nicht wirklich und richtig
preußisch und deutsch empfand, hat jedenfalls mit dazu beigetragen, daß
sie selbst leider niemals eine gute Preußin geworden ist.
Deutsch war sie nur, soweit es sich um eine gewisse platonische Zunei-
gung zu dem alten bescheidenen Deutschland der Biedermeierzeit handelte.
Das mächtige Bismarcksche Deutschland hat sie nie geliebt. Daß sie sich
nicht mit Bismarck zu stellen wußte, war das Unglück ihres Lebens. Der
große Staatsmann hat sich namentlich in der Konfliktszeit bemüht, sich
mit ihr zu verständigen, aber alle seine Versuche prallten ab an ihrem
Eigensinn, der noch stärker war als der ihrer Mutter, was etwas’sagen will.
Der Tochter fehlten die praktischen Erfahrungen der Mutter. Sie war nicht
wie diese daran gewöhnt worden, daß der fürstliche Wille an den Institu-
tionen des Landes, an seinen Traditionen und an der Staatsräson eherne
Schranken finden soll. Die Kaiserin Friedrich batte einen großen Charme,
den zu einem nicht geringen Teil ihr ältester Sohn von ihr geerbt hatte.
Es war ein Vergnügen, mit ihr zu diskutieren, auch wenn von vornherein
klar war, daß es nie gelingen würde, sie von ihrer vorgefaßten Meinung