538 KAISERIN FRIEDRICH UND IHR ÄLTESTER SOHN
abzubringen. Sie malte ganz. nett, aber natürlich alsDilettantin. Sie hat meine
Frau mehrfach porträtiert. Zwei Porträts hängen in der Villa Malta, eins
in Flottbeck, die freilich alle drei gegen die herrlichen Porträts von Makart
und Lenbach sehr abfallen. Die Kaiserin Friedrich fragte mich gelegentlich,
wie mir die von ihr gemalten Porträts meiner Frau gefielen. Ich erzählte
Ihrer Majestät daraufhin, daß ein großer Monarch, Ludwig XIV.,le Grand
Roi, dem Duc de Saint-Simon einmal ein von ihm verfaßtes Sonett vor-
gelesen und ihn um sein Urteil ersucht hätte. Der Herzog habe ihm er-
widert: „Sire, rien n’est impossible a Votre Majeste. Vous avez voulu faire
un mauvais sonnet, vous avez pleinement r&ussi.““ Ich schloß: „Eure
Majestät haben ein unähnliches Porträt meiner Frau machen wollen und es
erreicht.“ Die Kaiserin lachte. Weit davon entfernt, meinen Scherz übel-
zunchmen, fand sie die Antwort des Duc de Saint-Simon entzückend. Die
Kaiserin Friedrich wäre unter allen Verhältnissen und in jeder Lebenslage
eine ungewöhnliche Frau gewesen. Durch ihren Lebensgang wurde sie eine
der unglücklichsten Frauen, die es je gegeben hat. Sie hat Enttäuschungen
über Enttäuschungen erlebt. Sie konnte ihre Pläne nicht durchführen. Vor
dem Regierungsantritt ihres Mannes sah sie die Jahre kommen und gehen,
ohne in das Rad der Geschichte eingreifen zu können. Nach seinem Tode
verglich sie sich einmal mir gegenüber mit einem Menschen, der an einem
Fluß steht, der teilnahmlos, gleichgültig an ihm vorüberströmt. Die Kaise-
rin Friedrich hat ihrem ältesten Sohn niemals dessen lieb- und herzloses
Benehmen gegenüber seinem sterbenden Vater in San Remo verziehen.
Sie hat auch nie die Brutalität vergessen noch vergeben, mit der sie vom
Sohn nach dem Tode des Vaters in Potsdam behandelt wurde. Der tiefe
Groll, den sie seitdem gegen ihren Erstgeborenen im Busen trug, hatte sich
bedauerlicherweise auf ihren Bruder, den König Eduard, übertragen, der
seit seiner Kindheit mit seiner ältesten Schwester durch zärtliche Liebe
und volles gegenseitiges Vertrauen verbunden war. Politisch war die Kaiserin
Friedrich liberal gesinnt, wie sie auch in religiöser Beziehung sehr freien
Ansichten huldigte. Würde sie als Kaiserin die Kraft gehabt haben, Re-
formen im Sinne des vorgeschrittenen Liberalismus durchzusetzen? Ich
möchte diese Frage nicht bejahen. Ich glaube, daß es für einen Reichs-
kanzler, der ihren im Grunde doch sehr weiblichen, impressionablen und
ängstlichen Charakter kannte, nicht allzu schwer gewesen wäre, sie dahin zu
bringen, daß sie sich darauf beschränkt hätte, Wissenschaft und Kunst in
ihrer Weise zu fördern. Den Respekt vor der Wissenschaft hatte Wilhelm II.
von ihr geerbt. Auch ihre Neigung, ihre wissenschaftlichen Kenntnisse nach
außen hervortreten zu lassen, obwohl dies bei der Mutter nie in der über-
hebenden Weise des Sohnes geschah. Jede Art von Prahlerei lag ihr fern.
In ihrem Wesen, ihren Manieren war sie bescheiden, beinahe befangen.