Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

URRAH! 547 
zwei Achtzehnender. Die Laune ist rosig.‘‘ Am nächsten Tag telegraphierte 
Philipp Eulenburg amtlich, der Kaiser befehle, daß die von ihm in 
Wyschtyten gehaltene Rede durch Wolfis Telegraphen-Büro verbreitet 
werden solle. Sie lautete: „Seine Majestät Kaiser Nikolaus, euer erhabener 
Landesherr, Mein geliebter Freund, hat von eurem schweren Unglück 
gehört. Er läßt euch durch Meinen Mund mitteilen, wie sehr ihn diese Nach- 
richt betrübt hat, und läßt euch sein herzliches Mitgefühl aussprechen. 
Aber noch mehr, er sendet euch durch Mich als Zeichen seiner landes- 
väterlichen Fürsorge eine Spende von 5000 Rubel. Ihr erseht hieraus, wie 
das Auge eures erhabenen Landesvaters überall bis an die Grenzstädte 
seines gewaltigen Reiches reicht und wie sein gütiges, warmes Herz für 
seine noch so entfernten Untertanen schlägt. Eurer Dankbarkeit und Liebe 
für euren Kaiser und Vater werdet ihr jetzt Ausdruck geben, indem ihr 
ruft: Ssa Sdarwje jewo Welitschestwo Gossudarja Imperatora Nicolai! 
Urrah!““ Wenn von der Begleitung inklusive dem intimsten Freund Seiner 
Majestät, Philipp Eulenburg, niemand den Zweck dieses Einritts in ein 
kleines russisches Grenzstädtchen begriff, so ist es mir auch heute noch 
psychologisch unverständlich, wie ein in mancher Hinsicht hochbegabter 
Mann wie Wilhelm II., der viele und ernste Interessen hatte, der damals 
schon zweiundvierzig Jahre alt war und schon über zwölf Jahre auf dem 
Thron saß, an solchen Kindereien Gefallen finden, ein derartig operetten- 
haftes Unternehmen in Szene setzen konnte. 
Nicht lange nach dieser seltsamen Expedition stattete Prinz Heinrich 
seinem Schwager, dem Zaren, zu dem er in den allerbesten Beziehungen 
stand, in dessen Jagdschloß Spala im russisch-polnischen Gouvernement 
Petrikow einen längeren Besuch ab. Über seine Eindrücke erzählte mir 
Prinz Heinrich bei seiner Rückkehr, Kaiser Nikolaus habe ihn auf das 
verwandtschaftlichste empfangen, ihn wiederholt dringend gebeten, noch 
länger zu bleiben, ihm immer wiederholt, daß das Zusammensein mit dem 
preußischen Schwager ihm eine wahre Freude und Wohltat sei. Das waren 
ausnahmsweise keine Redensarten. Für seinen Schwager Heinrich empfand 
der (vorläufig) letzte russische Zar aufrichtige Freundschaft. Prinz Heinrich 
schilderte mir seinen Schwager als sehr wohlerzogen und immer liebens- 
würdig in der Form, auch im allgemeinen wohlwollend und selbst human, 
aber gewillt, das autokratische System aufrechtzuerhalten. Über religiöse 
Dinge denke der Zar im Gegensatz zu seinem Vater sehr frei. Er werde sich 
aber öffentlich nie in Widerspruch zur Orthodoxie setzen. Er interessiere 
sich für Armee und Marine, habe Verständnis für militärische Dinge und sei 
als junger Prinz ein guter Kompagnieführer und selbst Regimentskomman- 
deur gewesen, wäre aber ganz friedlich gesinnt. Kaiser Wilhelm imponiere 
dem Zaren, aber gehe diesem bisweilen auf die Nerven. Unser Kaiser dürfe 
35° 
Besuch 
des Prinzen 
Heinrich beim 
Zaren
	        
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