Tod von
Malwida von
Meysenbug
550 WILHELM II. NEBEN COSIMA
angeborenem Schönheitsgefühl die Erfahrungen verband, die sie im Verkehr
mit Morelli, mit Lenbach und Makart, mit Barnabei und Baracco,
Nieuwekerke, Carpeaux, Ary Scheffer und vielen anderen Künstlern und
Kunstkennern erworben hatte, tadelte an der Siegesallee, daß die Denkmäler
in Marmor ausgeführt wären, der sich im Norden nie gut ausnähme, denn er
brauche, um zu wirken, italienische oder griechische Sonne. Auch würde
das Ganze dadurch etwas monoton, daß alle dem Hause Hohenzollern ent-
stammenden Fürsten in gar zu selbstbewußter Attitüde dargestellt würden.
Trotzdem sei alles in allem das Ganze nicht so übel. Aber selbst wohlwollende
Beurteiler lächelten, als der Kaiser bei diesem Anlaß (nicht in meinem
Beisein) eine Rede hielt, in der er erklärte, daß die moderne Berliner Bild-
hauerschule auf der Höhe der klassischen Zeit der Griechen und der italieni-
schen Renaissance stünde. Er verglich sich selbst zwar nicht mit Perikles,
aber doch mit Lorenzo Medici und sprach die Hoffnung aus, daß auch seinen
Enkeln und Urenkeln gleiche Meister zur Seite stehen möchten, wie die-
jenigen, die unter seiner Leitung die Siegesallee geschaffen hätten. „Der
Eindruck, den die Siegesallee auf die Fremden macht, ist ein ganz über-
wältigender. Überall macht sich ein ungeheurer Respekt für die deutsche
Bildhauerei bemerkbar.“ Da es in dieser Rede auch nicht an einem heftigen
Ausfall gegen die moderne Richtung in der Kunst fehlte, die „in den
Rinnstein niedersteigt‘“, so trug leider auch dieser Redeerguß dazu bei, die
Kluft zwischen dem in mancher Hinsicht modern und fortschrittlich
gesinnten Kaiser und den Intellektuellen in Deutschland zu erweitern. Ich
hatte zu viel damit zu tun, den Kaiser politisch auf dem richtigen Weg zu
erhalten, als daß ich mit ihm auch noch über ästhetische Probleme hätte
diskutieren können. Es wäre auch wohl nutzlos gewesen, denn Wilhelm II.
war auf künstlerischem Gebiet durch und durch Dilettant, und das Wesen
des Dilettanten besteht bekanntlich darin, daß er sich über die Schwierig-
keiten und den Ernst der Kunst nicht im klaren ist. Als Kaiser Wilhelm II.
sich einmal für den Abend bei uns angesagt hatte, richtete ich es bei dem
Souper so ein, daß er neben Cosima Wagner saß, die gerade in Berlin weilte.
Sie führten eine lange und angeregte Konversation miteinander. Als ich
später Frau Cosima frug, wie sie sich mit dem Kaiser verstanden hätte,
meinte sie, eine der bedeutendsten Frauen, die mir in meinem Leben
begegnet sind: „Der Kaiser ist menschlich sehr sympathisch, aber um ihm
auch nur die Anfangsgründe der Kunst klarzumachen, müßte ich drei
Jahre mit ihm allein auf einer einsamen Insel sein.“
Von Frau Cosima hatte ich zu meinem Bedauern erfahren, daß es um
unsere liebe alte Freundin Malwida von Meysenbug nicht zum besten
stehe. Ich hatte ihr sogleich geschrieben und tröstend unter anderem
gesagt: „Innig hoffe ich, Sie haben sich wieder erholt. Warum sollten Sie