Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DAS VERTRAUEN DES KAISERS 561 
leben des Mannes. Die Vorbedingung solcher Entwicklung ist der Glaube 
an ideale Lebensziele, welche dem Jünglinge vorschweben, an welchen der 
Mann in jeder Lebenslage unerschütterlich festhält. Der gesunde Idealismus 
des Reichskanzlers ist der Boden, auf welchem seine Persönlichkeit empor- 
gewachsen ist. Ich habe das Aufkeimen und das Wachstum der Pflanze 
beobachtet, hatte in ihren Anfängen das Glück, sie pflegen zu dürfen. 
Welche sind aber die idealen Ziele des Reichskanzlers, an denen er fest- 
gehalten und die ihm heute als Sterne auf seiner mühevollen Bahn voran- 
leuchten ? Es ist vor allem der Glaube an den weltgeschichtlichen Beruf der 
Hohenzollern und an ihre selbstgeschaffene Armee, welcher das Fundament 
seiner Königstreue und der Eckstein seiner Politik ist. Es ist ferner seine 
strenge Gewissenhaftigkeit, seine Gerechtigkeit und sein Pflichtgefühl, aus 
welchem die Achtung vor jedem Rechte entspringt — jene große mensch- 
liche und staatsmännische Eigenschaft, welche ihm im Inlande das Ver- 
trauen der Staatsbürger ohne Unterschied der Konfession, des Standes und 
der Partei, im Auslande der leitenden Persönlichkeiten ohne Unterschied 
der Nationen sichert. Wenn er sich aber mit uns bewußt ist, daß das all- 
seitige Vertrauen der Hauptfaktor seiner Stärke ist, so vor allem das Ver- 
trauen Seiner Majestät des Kaisers, welches der Felsen ist, auf dem er 
steht. Ich habe nun versucht, in wenigen Worten den Empfindungen Aus- 
druck zu geben, welche uns heute an dieser Tafel erfüllen. Aber ich würde 
meine Aufgabe schlecht gelöst haben, wenn ich schließen würde, ohne unter 
den Idealen des Geburtstagskindes dasjenige genannt zu haben, welches 
den ersten Platz in seinem Herzen hat. Ich habe geschildert, daß sein 
Leben Mühe und Arbeit ist, daß ihm auch der Lohn, die Zufriedenheit 
seines Kaisers, das Vertrauen der Nation, die eigene Befriedigung nicht 
fehlen. Aber das Glück, ohne welches der Mann auf dem Pflichtwege einsam 
wandelt — das innerste Lebensglück bringt ihm die holde Frau, in deren 
Augen er jetzt sieht. Ihre zärtliche Liebe ist nicht allein der Schmuck seines 
Lebens, sie erhält ihm auch die Begeisterung für seinen Beruf; sie hilft ihm 
über die Momente der Enttäuschung hinweg, von welchen im Berufsleben 
niemand verschont bleibt. Ihr wunderbares Herzensverständnis für den 
Mann, welcher dem Vaterlande so notwendig ist, erhält dem Kaiser und 
Deutschland den Reichskanzler. Das ist ihr großes Verdienst, welches in 
der Geschichte unvergessen bleiben wird. Nun, so denke ich Ihrer Zustim- 
mung sicher zu sein, wenn ich Ihnen vorschlage, unsern heutigen Glück- 
wunsch in die herzlichen Worte zu fassen: Graf und Gräfin Bülow, sie 
leben hoch!“ In meinem langen und bewegten Leben hat mir kaum ein 
Lob so wohlgetan wie diese Anerkennung meines alten Feldobersten. 
Seit dem ersten Tage meiner Amtsführung als Reichskanzler und preußi- 
scher Ministerpräsident hatte ich mich mit besonderem Interesse den 
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