WASSER IN DEN AUTOKRATISCHEN WEIN 35
derungen Lerchenfelds von der verworrenen Lage in Berlin müssen ihn so
impressionieren, daß er jetzt eine völlig ablehnende Haltung einnimmt. Er
scheint wieder die alte bayrische Schaukelpolitik aus der Rumpelkammer
hervorzuholen. Überall begegne ich seinem Bestreben, sich selbständig zu
machen. Sein Ton ist ein viel festerer mir gegenüber, seine Deferenz hohen
und klerikalen Wünschen gegenüber eine unbegrenzte. Der Hof ist wider-
haariger denn je, gegenseitige Übelnehmerei trotz aller Depeschen pp. ver-
giften hüben und drüben die Stimmung. Lerchenfeld tut sein möglichstes,
den Brand zu hellem Feuer anzublasen. Zu Vertrauten äußerte er sich sehr
entrüstet über mich, und es ist gar nicht unmöglich, daß er mir schließlich
doch erfolgreich ein Bein stellt, da sein Einfluß in Berlin sehr weit reicht,
jedenfalls viel weiter wie der meinige. Glücklicherweise scheint Marschall
jetzt doch nicht mehr ganz so vertrauensselig zu sein. Wenn man nur mit
dem Amt allein zu tun hätte, könnte man die Politik Bayern gegenüber
schon einrichten, man ist aber leider vor Überraschungen an allerhöchster
Stelle nie sicher und weiß nie, welche Einflüsse sich da geltend machen.
Bayern ist ein so wichtiger Faktor, der Schlußstein des ganzen deutschen
Gebäudes, daß bei allem und jedem hierauf Rücksicht zu nehmen ist.
Vortrefflich wirkt hier die richtige Bismarckpolitik Hohenlohes. Ich sprach
neulich darüber mit Schweninger, der die Zufriedenheit Bismarcks dar-
über meldete und sich selbst auch sehr versöhnlich aussprach. Er äußerte
sich aber gleichzeitig sehr besorgt über das Erstarken des Partikularismus,
richtiger Separatismus hier zu Lande. Da unsere Freunde im Süden durch-
weg liberal sind, kann nur eine gemäßigt liberale Reichsleitung Wurzeln
hier schlagen. Wir haben diese ja jetzt. Auch hat glücklicherweise S. M.
wieder Wasser in den autokratischen Wein seiner Reden getan. Eine Rede
aber kann die Arbeit vieler Monate zerstören und mehr dazu. Verlautet hier
aber gar etwas über die Regattaschmerzen Seiner Majestät, so ist alles
durch die Krüger-Depesche gewonnene Terrain im Handumdrehen ver-
loren. Lerchenfeld lanciert seine Kuckuckseier dann immer in die hiesigen
nationalen Blätter. Das wichtigste, die ‚Münchner Neuesten Nachrichten‘,
habe ich mir so weit gezähmt, daß sie mit bedenklichen Berliner Meldungen
sehr vorsichtig umgehen, eventuell mich zu Rate ziehen. Alle Kanäle aber
kann man nicht verstopfen. Sehr geschickt soll Lerchenfeld jetzt gegen das
Bürgerliche Gesetzbuch agitieren, ich habe wenig Hoffnung, daß es noch
in dieser Session in den Port gebracht wird. Die Verhältnisse bei unseren
Bundesgenossen sind ja auch recht unerfreuliche. Die finanzielle Schwächung
Italiens erregt mir große Besorgnis, 50000 Mann in Afrika sind eine zu
schwere Last für den armen Staat Italien. Und in Österreich! Die Erneue-
rung des Zoll- und Handelsbündnisses bringt die ganze alte Scheune ins
Wanken. Dazu der in Ungarn bevorstehende Krach. Unserer Freunde
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