Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Roosevelt 
in Berlin 
574 WILHELMS II. GESICHT WIRD LÄNGER 
eine solche Waffe gegen sich in die Hände von Roosevelt gelangen lassen. 
„Aber Roosevelt ist mein Freund“, rief der Kaiser aus. Als ich entgegnete, 
daß es „Freunde“ in seinem Sinne in der Politik nicht gäbe, sah der hohe 
Herr mich sehr mißtrauisch an. Schließlich setzte ich durch, daß der 
Depeschenkasten, der den kaiserlichen Brief an Roosevelt über den Atlan- 
tischen Ozean trug, bei der Ankunft in New York festgehalten und unsere 
dortige Vertretung angewiesen wurde, das Schreiben uneröffnet wieder 
nach Berlin zurückzuschicken. Ich nehme an, daß, als nach dem Beginn 
des Weltkriegs Roosevelt gleich Monako, Lonsdale, Lacroix und Bonnal, 
gleich vielen ausländischen ‚Freunden‘ Seiner Majestät sich gegen Wil- 
helm II. wandte, dieser sich gefreut haben wird, daß wenigstens jener 
unvorsichtige Brief, der Roosevelt gegen Japan hetzen sollte, sich nicht in 
den Händen des bewunderten Theodore befand, der sich im Sommer 1914 
nicht schämte, öffentlich einen hohen Preis für denjenigen auszusetzen, der 
ihm den „Emperor William‘ lebendig bringen würde, damit er ihn an einen 
Pfahl anbinden lassen könne. 
Nach meinem Rücktritt wurde, wie ich nebenbei bemerke, der inzwischen 
zurückgetretene Roosevelt bei seiner Rundreise durch Europa in Berlin 
mit fast königlichen Ehren empfangen. Der Kaiser wollte seinen Freund 
ursprünglich im Schloß logieren. Dies unterblieb nur, weil in jenen Tagen 
der Oheim des Kaisers, König Eduard, gestorben war. Der Kaiser wohnte 
aber trotz tiefer Familientrauer dem Vortrag bei, den Roosevelt in der 
Berliner Universität hielt. Dieser Vortrag war freilich eine Enttäuschung 
für Seine Majestät. Roosevelt begann, wie mir von Ohrenzeugen erzählt 
wurde, mit ungewöhnlich lauter und scharfer Stimme, indem er den Kaiser 
direkt fixierte und alle seine prächtigen Zähne zeigte, mit einem Panegyrikus 
auf das Schiff „May-flower‘‘, das einst die ersten englischen Auswanderer 
nach Amerika gebracht hatte. „Das Schiff war klein“, führte Roosevelt 
etwa aus, „es hatte nur eine geringe Besatzung. Aber es trug als Ladung 
Grundsätze, die die Welt transformieren sollten: die Idee der religiösen 
Freiheit, den Grundsatz, daß der Mensch sein Verhältnis zu Gott selbst 
regeln dürfe, ohne die Einwirkung irgendwelcher hierarchischer Autorität 
zu admittieren. Und weiter den großen Gedanken, daß der Mensch sich 
seine weltliche Obrigkeit selber einsetzen könne und müsse, unter bestimm- 
ten Voraussetzungen und ganz bestimmten Bedingungen, daß er nicht etwa 
eine absolute, ihm durch göttlichen Ratschluß auferlegte Herrschaft 
brauche.“ Solange Roosevelt seine religiösen Ideen darlegte, war der Kaiser 
nur erstaunt. Beim direkten Vorstoß gegen das Gottesgnadentum machte er 
ein langes Gesicht. Ich betone noch einmal, daß nach Abstreifung von 
Übertreibungen und Unbesonnenheiten das Bestreben des Kaisers nach 
möglichst guten Beziehungen mit Amerika durchaus verständig war. Die
	        
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